Der nächste Morgen startete auf dem Schießplatz im Revier um einen Kontrollschuss abzugeben. Der saß. Nun denn.

Am Abend also auf ein Neues, gleicher Sitz, aber dieses Mal allein. Sandra bezog einen Sitz in der Nähe aber außerhalb jeglicher Gefährdung. Ziemlich pünktlich wie am Vorabend erschien der Bock vom Vorabend an der Kirrung. Er war quietschfidel und ich erleichtert. Das Schießbrett hatte ich in Position und mich sehr schön auf dem Sitz eingerichtet. Die Waffe lag gut und sicher auf dem Sandsack und ich schob die Sicherung nach vorn. Der Zeigefinger der rechten Hand spürte den Abzug, automatisch schloss sich das linke Auge, das rechte war konzentriert auf das Stück Rehwild durch das Zielfernrohr gerichtet. Wenn das Stück das nächste Mal das Haupt hebt, würde ich schießen. Ich rutsche noch eine Winzigkeit auf dem Sitzbrett hin und her, als plötzlich dieser kleine Vogel wie ein wahnsinniger Amokläufer durch die Kanzel flatterte und in allerbester Kamikazemanier mit dem Schnabel voran in/an mein Ohr flog.

Mein Herz raste wie wild, ich hatte Schweißperlen auf der Stirn, der Zeigefinger am Abzug stand senkrecht ab und ich versuchte zu erspüren, ob sich wohl so oder so ähnlich der Tot durch Herzversagen anfühlen musste. Hitzewallungen wie sie wohl Frauen in den Wechseljahren durchleiden, stiegen in mir auf und beim nächsten Blick in Richtung Kirrung konnte ich gerade noch sehen, wie der Bock gemächlich in der Dickung verschwand.

Ok, heute auch nicht und was zum Teufel war mit diesem Vogel nicht richtig? Ich sicherte die Waffe und lehnte mich zurück, wahrscheinlich hatte ich in diesem Moment die ersten grauen Haare bekommen… Aber – ich war mit dem Leben davongekommen und würde die letzte halbe Stunde mit dem Studium meiner Leidenschaft Nr. 1 verbringen. Sitzen und warten. Und während ich mich so meinen Beobachtungen der Blätter, Bäume, Sträucher und restlichen Sonnenstrahlen hingab, überlegte ich, warum dieser Vogel wohl zwei Abende hintereinander ein solches Spektakel aufgeführt hatte. Irgendwas musste ihn ja stören an der Tatsache, dass ich nun Zeit dort verbrachte. Ich fingerte in meiner Jackentasche nach einem Bonbon und sah dabei im Augenwinkel am äußeren Rand meiner Rückenlehne ein paar kleine Ästchen hervorstehen. Feng-Shui hin oder her, diese Ästchen störten mich und so zog ich daran, um diese zu entfernen. Wie von der Tarantel gestochen flatterte sofort wieder dieser winzige Vogel um meinen Kopf. Ich späte in den sehr kleinen Zwischenraum zwischen Rückenlehne und Rückwand und sah ein unglaublich kleines Ei.


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