Wie erhofft, ist ihnen der Geruch nicht geheuer und sie drehen um. Anstatt weiter den Graben der Reviergrenze nach unten zu gehen, kommen sie wieder nach oben. Und Diana meint es sehr, sehr gut mit mir. Sie schlagen nach links ein und arbeiten sich am Zaun der Bullenweide genau in unsere Richtung hoch.

Mein Puls rast, als mir klar wird, dass sie kommen werden. Auf Schussdistanz. Alle. Doch die Zeit rennt und das Büchsenlicht wird merkbar weniger mit jeder Minute. Das gesamte Rudel äst und geht nur schrittweise vor, besonders die Schmalspießer bleiben weiter hinter allen zurück und tragen zwischendurch spielerische Kämpfe aus.

Nur 15 m rechts von unserer Kanzel dreht das Rudel wieder ein und geht langsam in Richtung des Waldes vor uns zurück. Die Zeit wird knapp und ein Stück muss gleich passend kommen.

Doch die Spießer planen anders als ich. Immer wieder schiebt sich einer vor den anderen oder sie kommen spitz auf mich zu, sodass passende Momente so kurz sind, dass ich es nicht schaffe sie zu nutzen. Dafür fehlen mir als Jungjägerin die Routine und Sicherheit.

Um mittlerweile 20.52 Uhr muss ich meine Helix umlagern. Aus dem rechten Fenster in das nach vorne, denn das Rudel arbeitet sich langsam zum Wald hoch und noch immer kann ich keinen der drei Spießer für mich passend erwischen. Die Spannung ist unerträglich - soll es heute doch nicht mehr klappen? Nachdem wir eine Woche lang jeden Abend draußen waren, alle Hindernisse heute mit dem Anpirschen überwunden und mit einem Trick den drehenden Wind für uns genutzt haben?

Es ist mittlerweile wirklich düster draußen. Wir haben vielleicht noch 5 Minuten ausreichend Licht und die Spießer bewegen sich mit traumwandlerischer Sicherheit abseits des restlichen Rudels in einem Pulk, der einen sicheren Schuss unmöglich macht.

Bis…bis einer breit steht. 70 m genau vor mir. Ich sehe, dass einige Meter rechts neben ihm und knapp 20 m links neben ihm andere Spießer stehen, beide nicht passend laut Freigabe. Aber er, er steht da und bietet mir die eine Chance, die ich brauche.

Ich versichere mich beim Jagdherrn, dass er passt. Er passt. Ich atme flach, ziehe meine Rotpunkt leicht über das Blatt und lasse die Kugel fliegen. Der Knall zerreißt die Stille und wie ein einziges setzt sich das gesamte Rudel in Bewegung. Der Knall hallt noch in meinem Ohr, als ich schnell durchrepetiere und atemlos beobachte wie alle Richtung Reviergrenze nach rechts flüchten. Über die offene Fläche. Es ist jetzt so dunkel, dass ich mit bloßem Auge auf die Distanz keine einzelnen Stücke mehr identifizieren kann. Eine Sekunde lang befürchte ich, nicht richtig abgekommen zu sein und als würde er es ahnen, versichert mir der Jagdherr in dem Moment, dass ich genau drauf war.

Es vergeht vielleicht eine Sekunde, als ein Stück sich aus dem Rudel herauslöst, zurückbleibt… und umfällt. Während alle weiterrennen, bleibt es reglos liegen. Kein Schlegeln, kein Aufbäumen.

Es ist mein Spießer.

Er ist mit sitzendem Kammerschuss noch knapp 100 m gegangen. Aber da liegt er nun, mit nicht einmal lauscherhohen Spießen, von denen einer auch noch abgebrochen ist.

Er ist perfekt, mein erster Hirsch.

Und es ist ein so viel schöneres Jagderlebnis, als ich es mir jemals hätte träumen können. Mit so viel Anspannung und Wendungen, mit Jagdfreunden und Freudentränen.


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