Jeden ersten Mai quäle ich mich morgens aus dem Bett. Jede Faser meines mittlerweile sehr rubensähnlichen Körpers schreit nach einer waagerechten Position und ich möchte dem sooo gern nachgeben.

Aber nein, mit Schwung befördere ich mich und die müden Knochen in die Senkrechte und wackele mit verquollenen Augen und derangierten Haaren die erste Runde mit dem Hund. Im Dunkeln. Besser für die Mitmenschen.

Als Vogelscheuche oder ehrenamtlicher Erschrecker in der Geisterbahn könnte ich in diesem frühen Zustand des Tages wahrscheinlich größte Summen an Geld verdienen. Aber wie heißt es so schön, wer morgens verknittert aufwacht, hat den ganzen Tag Zeit, sich zu entfalten… Genau mein Humor.

Mein allererster erster Mai war unglaublich aufregend. Das war vor 18 Jahren und ich auch noch etwas frischer. Aufstehen fiel nicht ganz so schwer und ich hatte auch noch nicht gleich in den ersten 8 min auf dem Hochsitz das dringende Bedürfnis, es mir irgendwie so bequem auf dem Sitz zu machen, um noch weiterschlafen zu können.

Ich kann mich immer noch an den Ausblick von Sitz erinnern, ich kann immer noch die Geräusche hören und auch das Gras und den frischen Duft am Morgen riechen. Natürlich wollte ich an diesem ersten 1. Mai Beute machen, aber ich war auch ein bisschen erleichtert, dass sich die Chance nicht bot. Die Aufregung war überwältigend.

Ich denke, das war der Start meiner 1. Mai-Tradition: früh aufzustehen, den Vögeln beim Aufwachen zuhören und mit sauberen Händen beim Frühstück zu erscheinen.

Diese Tradition macht das Leben so viel entspannter! Im Gegensatz zu vielen Mitjägern habe ich zum Start der Saison überhaupt keinen Druck. Ich steh halt auf und spiel mit, aber ich erwarte nix.

In diesem Jahr war alles anders.

Die letzten 14 Jahre habe ich durchaus ein klitzekleines bisschen „Augenpflege“ auf dem Sitz machen können, ich hatte ja Rudi.

War jagdbares Wild in der Nähe, wurde ich sanft angestupst und geweckt. Reichte das Stupsen nicht aus, rammte er sein Gebiss zärtlich in meinen Arm - und glauben Sie mir, davon wachen Sie definitiv auf! Diese Zusammenarbeit hat bestens funktioniert.

Leider verließ Rudi uns letztes Jahr knapp vor Weihnachten zu seiner letzten Jagd im Himmel.

Wie soll das nur werden am Mittwochmorgen?

Foto: Christoph Jäckle


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