Der Bock war schwer laufkrank genau mittig zwischen uns beiden auf die Schneise gekommen. Durch die besagte Fichte konnte ich ihn zu dem Zeitpunkt noch nicht sehen. Mich interessierte brennend, was denn zwei Tage zuvor schiefgelaufen war. Mein Schuss lag ca. 8 cm zu tief, hinterließ einen ziemlichen Kratzer am Brustbein, durchschlug von innen den rechten Ellbogen und verursachte im unteren Drittel des Blattes einen riesengroßen Ausschuss. Damit hätte er keine zwei Tage mehr überlebt.
Alles war still.
Ich kniete mich neben den Spießer und als ich ihm den letzten Bissen gab, stiegen mir die Tränen in die Augen. Früher hätte ich nie für möglich gehalten, dass man in einem einzigen Moment so viele Gefühle auf einmal haben kann. Ich war unglaublich erleichtert, dass er nun erlöst war, traurig darüber, dass eine Ära zu Ende geht, glücklich über den Jagderfolg und über ein spannendes Erlebnis gemeinsam mit meinem Mann.
Ich war wütend auf mich und habe mich geschämt für das, was der Bock durch mich erleiden und 48 Stunden durchleben musste. Dennoch ein kleines bisschen zufrieden mit uns, dass wir drangeblieben sind und alles versucht haben, um meinen Fehler auszubügeln. Einen Fehler, der mir unsagbar leidtut und den ich gerne rückgängig machen würde, zu dem ich aber stehe und aus dem ich viel gelernt habe!
Zu gefühlsduselig? Nein! Intensiv, denn so ist Jagd!
Eine kleine Anekdote noch zum Schluss: Als ich zu Holger auf die Schneise kam hielt er ein Taschentuch an die Augenbraue. Auf mein energisches Nachfragen nuschelte er etwas kleinlaut in den nicht vorhandenen Bart: „Ach immer, wenn jemand erzählt, er hätte vom Zielfernrohr eine verpasst bekommen, habe ich denjenigen ausgelacht und gedacht, wie man wohl so doof sein kann…!“ Sollte er zukünftig derlei Erzählungen hören, wird er wahrscheinlich leicht schmunzelnd an diesen Abend und UNSEREN Bock denken.
Danke Holger für Deine Unterstützung.