Doch über dem Land stand die tiefe Stille der Frostnacht, und die Wölfin vermochte nichts Feindliches entdecken und nahm den süßlichen Geruch von Aas wahr. Der Hunger stieß sie vorwärts, sie bezwang sich jedoch, duckte sich und spähte lange nach dem Kadaver und der Hütte, suchte das leere Feld ab. Dort glitzerten im Schnee blaue Fünkchen; die Hütte warf einen schrägen violetten Schatten und kein Geräusch war zu hören. Die Wölfin kroch einige Schritte auf dem Bauch vorwärts und erstarrte von neuem, gespannt lauschend und sichernd. So aufreizend war der Geruch, und so still schien die Nacht, dass sie aufsprang und zu dem verendeten Hammel hinstürzte. Aber noch hatte sie kein Stück Fleisch herausgerissen, da zuckte aus einem Fensterchen der Hütte ein roter Feuerstrahl, krachte ein ohrenbetäubender Donner.

Ich bin wieder hier im Revier im Spessart und stehe retrospektiv am Wolfsriss, keine fünfzig Meter vom Wohnhaus entfernt und kriege den Gedanken nicht los, dass man in alter Zeit den Kadaver liegen lassen und sich auf die Lauer gelegt hätte.

Na ja, die Gedanken sind frei und heute ist alles europaweit geregelt und bürokratisch verordnet. Die Affinität zwischen den städtischen Wolfsfreunden und der Landbevölkerung, also den betroffenen Weidetierhaltern, Reitern und Jägern ist völlig konträr.

„Ich habe sie totgeschossen! Hörst Du, Onkel, die Wölfin habe ich totgeschossen!“ Sie nahmen einen Schlitten und liefen schnell die Straße entlang. Im silbernen Mondlicht schlief das Dorf und der Schnee knirschte unter ihren Filzstiefeln. Die Wölfin lag neben dem Köder, den breitstirnigen Kopf zurückgehoben, das Gebiss gefletscht.Unter ihr im Schnee dunkelte ein erstarrter Blutfleck. Der Onkel stieß mit dem Stiefel in den Bauch der Wölfin und konnte sich nicht genug wundern, dass sein Neffe es gewesen war, der dieses kräftige Tier zur Strecke gebracht hatte! Der Hütejunge und Wolfs-Jäger dachte an den Tod des Fohlens, an jene langen Nachtstunden, die er in der alten Badehütte verbracht hatte und schließlich an jenen süßen Augenblick, als sein sicherer Schuss die Stille der Nacht zerriss und der Gegner tot in den Schnee sank.

Um Mitternacht baume ich ab, pirsche nachdenklich bei eisigem Wind zum Auto, wohlwissend, dass sich die Geschichte -heute- so in Deutschland nicht zutragen würde und der Main-Kinzig-Kreis erneut einen Antrag zur Wolfsentnahme stellen muss!


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