„Das ist doch sinnlos, was du machst“, sagte der Onkel zu ihm. „Im Wald einen Wolf finden zu wollen ist dasselbe, als suchtest Du eine Stecknadel im Heuschober.“ „Geduld habe ich schon“, antwortete Mitja. Der Junge war jeden Tag im Wald und hielt Ausschau nach dem Wolf. Es wurde Winter. Am Ende des Dorfes stand eine alte, halbverfallene Badehütte. Aus ihrem Fensterchen sah man vor sich ein weites Schneefeld, dahinter wie ein verschwommenes aschgraues Gebirge den Jungwald liegen. Über ihm hing die gelbe Sichel des zunehmenden Mondes.

Das Rehwild schreckt und ich blicke aus dem Fenster.

Der Schnee hat die Landschaft verzaubert, wäre da nur nicht der eisige Wind, der mir in die Glieder fährt. Es ist jetzt unter dem Gefrierpunkt und meine Gedanken sind bei der Wolfsjagd des Jungen in eisiger Nacht.

Aber vielleicht sehe ich ja hier und jetzt die Wölfe. Jäger berichten von Sauen, die ihre Frischlinge in Burgformation beschützten, Hirsche, die den Wolf mit gesenktem Haupt gegenüberstanden oder wie zwei Wölfe ein Rudel Rotwild aus dem Wald in die Feldflur gejagt hätten. Diese Sichtungen reichen aber nicht aus, denn das HLNUG (Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie) benötigt Beweisfotos.

Also gibt es auch kein Wolfsrudel im Spessart.

Klirrender Frost herrschte, dass es schmerzte und einem eine Gänsehaut über den Rücken lief. Der Mond ergoss sein blaues Licht über das Feld, das scheinbar von Leben erfüllt war, wenn am Himmel Wolken vorüberglitten. Schatten huschten darüber hin, der Waldrand am Horizont schiene zu beben und fließen.

Genau wie jetzt. Kein RW oder Sau auf der Fläche, aber genau so ging es dem Jungen, der nächtelang auf den Wolf angesessen hat, doch eine Nacht nach der anderen verstrich, ohne dass die Wölfin erschien.

Das Raubtier war hungrig.

Am Abend des dritten Tages legte sich der Wind, und das Schneefegen ließ nach. Im Wald herrschte Stille, unbeweglich standen die Bäume, kein Zweig rührte sich mehr. Am Himmel funkelten die Sterne, der aufgehende Mond hatte einen ausgefransten Rand. Bäume und Sträucher warfen Schatten. Die Wölfin schlich aus dem Wald, das Raubtier hob die Schnauze und zog die Luft ein.

Als sich die Wölfin einer kleinen, schiefen, weit von den Gehöften entfernt stehenden Hütte näherte, eräugte sie etwas Dunkles auf dem weißen Schnee. Das Vorgefühl einer Gefahr zwang sie zur Vorsicht.


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