Wir hielten beide direkt am rechten Straßenrand, schalteten die Warnblinkanlage ein und mit unserer orangefarbenen Jacke (Eigenschutz!) näherten wir uns behutsam dem Kitz auf der anderen Straßenseite.
Das Bockkitz mit deutlichen Lebenszeichen gab keine Laute von sich, hatte aber offensichtlich auf den ersten, orientierenden Blick sichtbare äußere Verletzungen im Bereich der Läufe.
Sofort war der Entschluss gefasst, dass Kitz schnellstmöglich von seinen Leiden zu erlösen. Da wir den Förster kannten, wussten wir auch, dass wir hier sofort handeln durften und nicht erst Rücksprache halten mussten. Wir entschieden uns, aufgrund der Gegebenheiten unsere kalte Waffe anzuwenden; an einen Fangschuss war aufgrund des nicht sicheren Schussfeldes nicht zu denken.
Ich näherte mich also von hinten und fixierte knieend das Bockkitz. Daraufhin setzte ich unverzüglich meine blanke Waffe kurz hinter dem Blatt an, so dass der Stichkanal leicht schräg nach vorne verlief. Mit einem kräftigen Stoß bewegte ich das Messer dann bis zum Parierstück in den Wildkörper hinein. Von dieser Position ausgehend machte ich noch einen kräftigen Ruck nach oben und unten, um letztendlich den Brustkorb zu eröffnen, den Unterdruck aufzulösen (Pneumothorax) und Gefäße zu zerstören; das Bockkitz verendete umgehend.
Auch wenn der Einsatz der kalten Waffe und das damit verbundene Abfangen des (Reh-)wildes im Theorieteil Bestandteil des Jagdkurses ist, fehlte mir für einen sogenannten Blattfang der routinierte Praxiseinsatz. In der Vergangenheit war ich bis dato noch nicht in die Verlegenheit gekommen, meine blanke Waffe für das Abfangen einzusetzen.
Das Ansetzen meines Jagdmessers auf den Wildkörper war für mich ein sehr emotionaler und gleichzeitig lehrreicher Moment. Ich war trotz der Umstände auch dankbar, auf diese Art und Weise im Sinne des Tierschutzes, das Leid des Tieres zügig beenden zu können.