Schnell ins Betti und ach - es war ja schon Sonntag Morgen... Schade, der letzte Ansitz. Der Plan des Morgens zuvor hatte sich bewährt und so trieb uns die senile Bettflucht wieder ins Revier. Schon beim Angehen des Sitzes hatte ich irgendwie das Gefühl beobachtet zu werden. Gerade hatte ich es mir gemütlich gemacht, da schnaufte es hinter mir im Busch. Sehen konnte ich nichts. Vorsichtig lehnte ich mich aus dem Fenster. In den Brombeeren stand ein Stück Schwarzwild. Da die Ranken bis über die Federn des Tieres reichten, konnte ich überhaupt nicht sagen, was es hätte sein können bzw. ob es nur dieses eine Stück war oder noch mehr in den Brombeeren verborgen. Meine Herauslehn-Halbsteh-und-Halbsitz-Position war mehr als unbequem und ich musste mich irgendwie mal eben regen. Den Blick kurz abgewendet, wieder hingeschaut und weg war es. Ohne ein Geräusch. Einfach weg! Diese Schwarzkittel beeindrucken mich immer wieder. Manchmal kommen sie zu zweit und es macht ein Getöse, als ob mindestens eine Armee Schwarzwild im Anmarsch wäre und dann wieder steht wie aus dem Nichts eine Rotte auf der Kirrung und niemand hat auch nur im Ansatz ein Geräusch vernommen.

So konnte ich also wieder eine bequeme Sitzposition und mich meiner Lieblingsbeschäftigung, dem Warten, hingeben. Ein Blick nach links, ein Blick nach rechts, ein Blick nach vorn - meine Güte, was ist das da? Glas hoch, atmen nicht vergessen. Rotwild? Ja! Männlich? Ja! Jetzt gut hinsehen... Ich erkenne kleine Knöpfe auf seinem Haupt. Leise hole ich die Waffe aus ihrer Wartestellung und mache mich bereit. Als der Hirsch auf etwa 60 Schritt breit auf der Schneise steht, schieße ich. Ohne zu zeichnen flüchtet das Stück in den Wald. Ich horche, höre knackende Äste, das Stück flüchtet weiter, Tränen laufen mir über mein Gesicht. Das hätte mein erstes und wahrscheinlich einziges Stück Rotwild sein können und hatte ich wohl in der Aufregung vorbei geschossen. Mein Telefon klingelte Sturm. Die Jungs wussten ganz genau, aus welcher Ecke der Schuss kam. Mit tränenerstickter Stimme beantwortete ich den Anruf des Försters und erzählte ihm, dass ich einen Spießer beschossen hätte, mir aber sicher sei, dass dieser nicht liege. Er beruhigte mich, sagte, ich solle zum Anschuss gehen, er käme dann gleich mit seinem Schweißhund.

Also dann runter vom Sitz. Am Anschuss nichts. Kein Schnitthaar, kein Schweiß, gar nichts. Selbst wenn etwas gewesen wäre, hätte ich es in dem Blaubeerbewuchs schwer erkennen können. Ich beschloss auf den Förster mit seinem Hund zu warten und die Zeit, ganz in Kleine-Mädchen-Art, mit weiterem Heulen zu verbringen. Dazu brachte ich mich in eine besonders theatralisch anmutende Haltung und hockte in den Blaubeeren. Ich blickte in die Fluchtrichtung des Hirsches und dachte darüber nach, was passiert sei und was an diesem Schuss nicht gepasst hatte. Die Tränen aus dem Gesicht wischend wurde ich stutzig. Was lag denn da? Irgendwas lag da doch. Ruckartig stand ich auf, vergessen waren die Tränen und das Selbstmitleid über die Verfehlung, denn etwa 20 Schritt im Bestand, hinter einem umgefallenen Baum und halb unter den Brombeeren lag der Spießer.


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