Versprochen ist versprochen
Jagdgeschichten

Versprochen ist versprochen

Text: Alena Steinbach
Bilder: Alena Steinbach

Bereits vor einigen Jahren war ich zur Elchjagd nach Schweden eingeladen worden. Zusammen mit 20 internationalen Journalisten versuchten wir dem langbeinigen Wild während der klassisch schwedischen Jagd auf die Schliche zu kommen. Stundenlanges Warten im Wald, ab und an ein Hundegebell in der Ferne, welches den Puls kurz ansteigen ließ und dann wieder ewig lange Ruhe - genau meins.

Deswegen sitze ich auch so gerne auf dem Hochsitz... Sie merken, es war nicht meine favorisierte Jagdart. Aber ich sah immerhin eine Kuh mit Kalb - sie bemerkte mich aber sofort, als sie spitz auf mich zu kam und dreht auf der Hufkante um, ihr Kalb tat es ihr gleich. Nun gut, wenigstens Anblick hatte ich gehabt. Das ist nicht immer gegeben, wie einem dort schnell bewusst wird. In den Jagdtagen wurden zwei Elchbullen erlegt, imposante Tiere und auf keinem Bild der Welt so rüberzubringen. Eines ist wohl jedem Elchjagdneuling klar geworden. Einen Elch zu sehen ist Glück, einen Elch erlegen zu können großes Glück.

Nun, fünf Jahre später, wollten wir es erneut versuchen. So buchten mein Freund und ich eine Reise nach Estland. Moment, eigentlich lief das anders. Ich schenkte ihm zum Geburtstag einen Städtetripp nach Tallinn, natürlich dauerte es nicht lang, bis ihm die glorreiche Idee kam, dann doch auch gleich noch ein paar Tage Elchjagd mit dran zu hängen. Wenn wir ehrlich sind, hatte er recht, es war schon sinnvoll, das eine mit dem anderen zu verbinden. So fanden wir uns am 2.11. diesen Jahres in einem kleinen Ort 50 km von der russischen Grenze entfernt wieder.

Zu unserer Überraschung hausten wir nicht in einer einfachen Pension oder Hütte im Wald, sondern in einem sehr schönen Wellness-Hotel, kaum zu glauben für die Gegend. So konnte zwischen den Jagden geschwommen, sauniert und massiert werden. Ganz wunderbar. Auch die Küche und der Service waren hervorragend. Mir war bewusst, dass Estland lange Zeit deutsch geprägt wurde und leider ein Land des ständigen Wechselns und Tauscherei gewesen war und das bis noch vor wenigen Jahren. Allerdings war ich doch verwundert, als ich erst auf Englisch, dann in nahezu perfekten Deutsch, mit einer 80-jährigen Frau über die Region und ihre Geschichte sprach. Sachen gibt’s...

Nun denn, vier Jagdtage standen vor uns und diese sollten auch ganz verschieden sein. Die romantische Vorstellung, dass man durch die estnischen Wälder streift und hier und da einen Elch sieht, wurde uns recht schnell genommen. Dafür sind sie einfach zu selten. So bestand der Morgen meist aus einer klassischen Gummipirsch in der Hoffnung auf einer der riesigen Flächen einen Elch zu sehen und diesen angehen zu können. Auch reichlich Wölfe, Wildschweine und Luchse soll es dort geben - und Bären. Ja, ganz genau, Bären, damit hatten wir nun wirklich nicht gerechnet. Tatsächlich haben sie aber eine Lizenz pro Jahr und laut der Wildkamerabilder sind auch zahlreiche vor Ort. Leider haben wir keine gesehen.

Am 1. Tag gummipirschten wir also durch das 23.000 ha-große Revier, unglaublich, was da an Bäumen steht, eine reine Monokultur mit ein paar Birken. Gesehen haben wir nichts, so entschloss sich Martin, unser Jagdführer dazu, dass wir ein wenig mit den Hunden jagen. Wem die Elchjagd mit dem Hund nicht bekannt ist, dem möchte ich sie kurz erklären. Oft, so erzählte es mir auch Martin, gehen sie zu dritt oder viert los. Lassen die Hunde laufen und warten auf den Laut ihres Hundes. Wenn sie laut sind, haben sie einen Elch. Immer wenn der Elch steht, bellt der Hund und der Jäger versucht das Duo anzugehen. Im Idealfall kann man dann vor seinem eigenen Hund den Elch erlegen, ein tolles Erlebnis für beide. Sollte der Elch nicht frei sein, muss der Hund enttäuschenderweise abgetragen werden. So werden dort die meisten Elche gejagt. Dann gibt es noch die typische Drückjagd auf Elchwild.

Hier werden die Jäger rund um ein Waldgebiet verteilt, meist stehen sie auf Waldwegen ein paar hundert Meter auseinander und dürfen nur auf den bereits gequerten Elch schießen. Er muss also über den Weg sein, da sonst keine Sicherheit gegeben ist. Ich bin ganz ehrlich, für mich ist diese Art der Jagd nichts. Der Winkel ist nach wie vor sehr schmal und oft verlieren die Menschen in solchen Situationen die Nerven und schießen schon deutlich früher. Dies ist aber nur eine persönliche Einschätzung und soll keinesfalls die Art oder Menschen verurteilen. Jeder macht es ebenso, wie er es kennt. Wenn dann alle stehen, werden auch hier die Hunde in das Waldstück gelassen, nur das man hier nicht den bellenden Hund angeht, sondern darauf hofft, dass er bei einem der Schützen passend den Wald verlässt.

Wir jagten also zu viert - Max, ich und zwei Hundeführer - den leicht regnerischen und nassen Tag vor uns hin, kein Laut, kein Elch. Durchgefroren und nass kamen wir nachmittags ans Hotel zurück und auch am Abend sahen wir leider bis auf viele Auerhähne keinen Elch. Allerdings hat uns der Anblick der Hähne eine große Freude bereitet. In Estland sind diese übrigens streng geschützt und werden nicht bejagt.

Am nächsten Morgen sollte ich mit einem Jagdkumpel von Martin in ein anderes Revier fahren und dort mein Glück versuchen.

Ich glaube, dass er anfangs ziemlich unsicher mit mir im Auto war. Eine Frau und dann redet und fragt die auch noch permanent alles Mögliche... Naja, wir haben uns gut aufeinander eingestellt und im Revier bin ich dann auch deutlich ruhiger geworden. Ähnlich dem vergangenen Morgen fuhren wir erfolglos durch den unendlichen Wald, dann bogen wir um eine Ecke und Clas, mein noch immer etwas verdatterter Pirschführer, berichtete mir, dass dort eigentlich immer Elche stehen. Ich stimmte dem zu und sagte aber auch, dass ich bei dem Wetter heute auch nirgendwo auf einer Freifläche stehen würde. Gerade, als wir fast das Ende der Freifläche erreicht hatten, wurde er langsamer und schaute mit seinem Fernglas in eine dunkle Ecke der Freifläche, ich konnte kaum etwas sehen, weil ich meine Brille vergessen hatte, meine aber auch Umrisse eines Elches erahnen zu können, wäre aber auch mit einem großen Baumstumpf zufrieden und nicht skeptisch gewesen.

Tatsache! Es war ein Elch.

Er fuhr einige hundert Meter weiter und wir liefen zurück, als wir um die Ecke kamen, stand der Elch noch dort und sicherte in unsere Richtung...

An dieser Stelle möchte ich etwas einschieben.

Mitte Oktober ist ein mir sehr wichtiger Mensch ins Krankenhaus gekommen. Was anfangs wie eine reine Oberschenkelfraktur aussah, wurde schnell eine Krebsstreuung im Kopf. Den Darmkrebs vor 1,5 Jahren hatten die Ärzte eigentlich gut in den Griff bekommen. Doch der ständige Schwindel war auffällig und so wurde bei dem Krankenhausaufenthalt die schreckliche Diagnose der Streuung festgestellt. Die Operation und der völlige Verlust von all dem, was Roder ausgemacht hat, war die folgenden 10 Tage kaum auszuhalten. Für uns nicht, aber sicher vor allem nicht für ihn. Noch an seinem Geburtstag, Anfang Oktober, saßen wir fröhlich zusammen und ich berichtete ihm von meiner anstehenden Reise.

Roder hat die ganze Welt bereist und -jagt, ich bin nie müde geworden seinen Geschichten zu lauschen, die Spannung erneut mit ihm zu erleben und aus seinen Erfahrungen zu lernen. Einen Elch hat er aber trotz mehrfacher Versuche nie erlegen können. Am Tag vor meiner Abreise und auch seines Todes versprach ich ihm mit vielen Tränen in den Augen und seiner großen Hand in meiner, dass ich ihm einen Elch schießen werde. Auch wenn er kaum noch anwesend war, bin ich mir ganz sicher, und dafür gibt es zwei Zeugen, dass ihn meine durchdringende und laute Stimme erreicht hat.

Nun stand ich da, wild an meiner Vergrößerung des Zielfernrohrs drehend und wusste, dass das meine Chance war das Versprechen zu halten. Eigentlich wollte ich nur ein Kalb oder Schmaltier schießen, da mich Trophäen nicht sonderlich interessieren, aber dies war nun einmal ein junger Elchbulle und ich wollte kein Risiko eingehen. Der Elch fing an sich in Bewegung zu setzen, ich drehte meine Absehenschnellverstellung auf 180 m und schoss als der Elch kurz vor dem Wald noch einmal zu uns sicherte. Er brach sofort zusammen. Mein Jagdführer stand mit zugehaltenen Ohren hinter mir und fragte: „And, where is he?“ Ich dachte mir, dass eigentlich er mir das doch sagen sollte, sagte aber, dass er liegt. Wir gingen langsam zu ihm.

Als ich neben diesem unglaublich großen, langbeinigen Tier stand, brachen die Tränen aus mir heraus. Der arme Mann wusste gar nicht, was mit mir los war und fragte mich, ob ich traurig sei. Ich versuchte ihm die Situation zu erklären, gab aber irgendwann auf und war einfach glücklich und dankbar, dass heute „jemand“ ein Auge auf mich hatte. Ich bin niemand der nach Erlegungen weint, dies ist mir bisher zweimal passiert. Einmal bei „der Alten“ (ich berichtete) und einmal bei diesem Elch.

Ich rupfte ein paar der Deckenhaare ab und nahm die abgeschossene Patronenhülse mit. Diese werde ich gefüllt mit den Haaren bei der Beerdigung mit ans Grab legen. Versprochen ist versprochen!

Ich hatte also meine Jagd hinter mir.

Das Bergen dauerte Stunden, obwohl es nur 300 m zum nächsten Weg waren, ein Elch ist aber nun einmal ein Elch. Nach dem Versorgen lud uns Martin zu sich in die Jagdhütte ein und kochte für uns Leber und Herz meines Bullen in Sahnesoße. Ich bin ehrlich zu Ihnen, Innereien sind gar nichts für mich, nicht einmal im Ansatz, dennoch aß ich natürlich von meinem Elch. Zum Essen gab es Vodka und Bier, ebenfalls nichts, was meinem Gaumen Freude bereitet, es half nichts, es musste runter. Auch etwas, was ich nicht so schnell vergessen werde. Nach einer kurzen Rast ging es auf die abendliche Gummipirsch.

Nach dreißigminütiger Fahrt bogen wir um eine Kurve und sahen in weiter Ferne einen Elch einen umgefallenen Baum schälen. Wir fuhren zurück und Max und Martin machten sich auf den Weg, kurz drauf hörte ich einen Schuss und ebenso kurz drauf kamen die beiden aufgeregt zum Wagen gelaufen. Der Elch ist weg. Martin fuhr sofort zum Anschuss und setzte seinen Hund auf die warme Fährte. Es dauerte nicht lang, bis der Hund laut war, wir umfuhren das Gebiet hastig und damit meine ich lebensbedrohlich und kamen bis auf 200 m ran. Der Elch stellte sich immer wieder, brach aber auch ständig aus. Mit etwas Glück würde er vor uns den Weg kreuzen, so sah es zumindest auf dem Garmin aus. Max stand bereit, das Licht war schon sehr knapp und ich hoffte sehr, dass wir den Elch noch vor der endgültigen Dunkelheit bekommen würden. Schon weit bevor man ihn sehen konnte, hörte man den Elch durch das Unterholz poltern. Ein Glück waren die Wege ca. 20 m breit und so konnte Max ihm sowohl beim Austreten aus dem Wald, als auch beim Eintauchen auf der anderen Seite zwei Schüsse antragen. Nach weiteren 40 m ist er zusammengebrochen und verendet. Was ein Abenteuer und vor allem glückliches Ende.

Wieder bin ich mir sicher, dass „jemand“ ein Auge auf uns hatte.

Wir beschlossen die anderen Tage gemütlich zu machen. Wir hatten genug Aktion und waren mit unseren beiden Bullen sehr zufrieden, glücklich und dankbar. Wir kauften den Jungs vor Ort noch ein wenig Elchfleisch ab und starteten anschließend in den zivilen Teil des Urlaubs. Auch hier kann ich nur meine wärmste Empfehlung aussprechen: Tallinn ist eine wunderschöne, alte Stadt mit freundlichen Menschen und viel deutscher Geschichte.


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