Auslandstrip: Slippery when wet
Jagdgeschichten

Auslandstrip: Slippery when wet

Text Carola Rathjens
Bilder Carola Rathjens, Alena Steinbach, Steffi Götz, Katja Simon & Nicole Große-Sundrup

Auf dem Weg zum Flughafen überlege ich krampfhaft, wie lange es wohl her sein mag, dass ich geflogen bin. Also nicht irgendwo aus einer Kneipe oder so, sondern mit den Flugzeug. Ich checke meine Mails und zack, es ist erst 3 Jahre her. Dabei kommt es mir wie eine Ewigkeit vor, aber es ist auch so unfassbar viel passiert in der Zwischenzeit. Vor 3 Jahren war ich FÜR meinen großen „Tschatz“, so nennen Alena und ich uns seit geraumer Zeit, unterwegs, damals nach Wales, diesmal MIT dem großen „Tschatz“ und 3 weiteren Lieblingsmenschen.

Unsere kleine Reisegesellschaft bestehend aus Steffi, Katja, Nicole, Alena und mir, trifft fröhlich auf dem Flughafen in Dublin ein. Steffi hat sich dankenswerterweise bereit erklärt, uns samt der Winzigkeit an Gepäck mit dem Mietwagen auf der rechten Seite sitzend und im Linksverkehr fahrend, quer durchs Land zu chauffieren. Alena als Navigator lotst uns sicher und souverän durch den Flughafen- und Stadtverkehr über die Autobahnen auf die kleinen Straßen, vorbei an einem vermeintlichen Massenmörder der „Jigsaw-Farm“ bis zu unserem kleinen Übergangszuhause.

Als wir die Tür zu unserer Jagd-WG öffnen, prasselt bereits ein Feuer im alten Herd. Schier wie abgesprochen und klischeehaft tussimäßig quietschen wir vor Vergnügen.

Umgehend wird das sofort liebgewonnene Gerät mit weiteren Holzscheiten bestückt und wir halten unsere kleinen Händchen andächtig über die heimelige Wärmequelle. Dann der nächste Paukenschlag der Bude: ein Treppenlift. Mit unseren Kleinst-Gepäckstücken auf dem Schoß fahren wir die Stufen zu unseren oben gelegenen Schlafgemächern empor. Atemnot vor Lachen stellt sich ein. Wie fürchterlich langweilig wäre doch ein Hotelzimmer gewesen!

Nachdem die Zimmer in der Manier von königlichen Eroberinnen bezogen wurden und auch wirklich jedes Zimmer und jeder noch so verwinkelter Schrank erkundet und für gut befunden wurde, starten wir unsere erste Einkaufstour im nahegelegenen größeren Ort. Doll, was es im Ausland so alles an bizarren Spezialitäten gibt: Steckrüben zum Beispiel. Total ungewöhnlich und so entschließen wir kurzer Hand, einen Eintopf herzustellen, kalte Tage, ungemütliches Wetter und so, versteht sich. Und weil Eintopf immer erst aufgewärmt am besten schmeckt, gönnen wir uns am ersten Abend ein Dinner im Restaurant.

Der erste Jagdmorgen startet früh und sagen wir mal leicht chaotisch. Bis jede alles hat, man weiß ja auch nicht so genau, was man so alles braucht - regnet es oder nicht, soll man noch Wechselwäsche mitnehmen, wo ist eigentlich mein Stirnband, oh, du hast einen Rucksack, wie praktisch- vergehen bange Minuten, in denen durch unsere Reiseleitung jäh zur Eile und zur Abfahrt gemahnt wird und so erreichen wir fröhlich, ausgeruht und dem blühenden Leben gleichend pünktlich unseren Treffpunkt.

Dort stehen sie, aufgereiht wie die Zinnsoldaten, und es hat ein bisschen den Charme eines Blind-Dates. Katja darf die nächsten Tage mit Crock verbringen, Nicole hat Willie an ihrer Seite, Steffi geht mit Oisin (sprich: Uschiiieeehn), Alena hat Chefarztbehandlung durch Norman gebucht, um mich kümmert sich Ryan.

Und los geht’s: unser Jagdtransporter rumpelt über die kleinen Straßen und Wege durch die Dämmerung. Wir halten, Ryan drückt mir sein Gewehr in die Hand und wir stiefeln durch die Stille. Der Weg führt über Weidezäune und –tore, ich lobe mir mein zu Hause von meinem Herzkäfer top gefettetes Schuhwerk, das weder den nach Boviden stinkenden Modder, noch das durch den Regen stehende Wasser eindringen lässt. Im Gänsemarsch wackeln wir über die buckeligen Weiden am Waldrand entlang. Plötzlich ein Schrei, der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und bin mir sicher, dass sich in der nächsten Sekunde die Erde vor mir auftut, der Teufel emporfährt und mir zuruft „Meister, endlich, ihr seid zurückgekehrt!“. Mein Gesicht muss dermaßen dämlich ausgesehen haben, dass Ryan sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Die Erklärung war natürlich ganz einfach- ein weibliches Sika hatte uns eräugt und einen Warnruf ausgestoßen. Wäre der Jagdurlaub an dieser Stelle zu Ende gewesen, ich wäre sicher nicht traurig oder enttäuscht nach Hause gefahren. Der erste Jagdmorgen zu Ende, wir treffen uns an unserem morgendlichen Abfahrtspunkt und es sprudelt nur so aus uns heraus. Die anwesenden Herren sind sichtlich irritiert ob unserer Wortgewalt und ziehen sich ganz nach Gentlemen-Art zurück.

Am Abend regnet es. Ryan gibt an, er habe die Hoffnung, dass wir auf einem Hochsitz an einer Schneise Erfolg haben könnten. Hatte ich erwähnt, dass es regnet? Nein? Also es regnet.

„Wenn du dich gut fühlst und einen sicheren Schuss antragen kannst, dann schieß!“

Ryan pliert mit zusammengekniffenen Augen durch sein Fernglas. Regentropfen prasseln auf sein Gesicht, ich sehe seine Halsschlagader hastig auf und ab wippen. Die Waffe halte ich seit einer gefühlten Ewigkeit aus dem Hochsitzfenster. Mein Blick richtet sich durch das Zielfernrohr. Tief durchatmen. Ich fühle mich wie mein tschechisches Lieblings-Aschenbrödel aus der allseits beliebten und bekannten Weihnachtsschnulze, die am Schloss an der Freitreppe steht und sich fragt: mach ich‘s, mach ich‘s nicht, mach ich‘s…?

Ich frage mich das, weil ich im Gegensatz zu meinen mitreisenden Lieblings-Damen relativ wenig Jagdglück habe, also keins um genau zu sein. Wahlweise vergesse ich die Munition und sitze dann unbewaffnet in einem Rudel Damwild auf eine Armlänge Abstand oder ich habe überhaupt keinen Anblick und wenn doch, dann nur das Wild, das nicht frei ist.

Lange Rede, kurzer Sinn, ich MUSS diese Gelegenheit nutzen, ich werde keine zweite Chance bekommen, ICH MACH‘S! Das Stück steht auf etwa 180 m mit dem Haupt verborgen hinter einem Baum, ich sehe nur die Keulen. Ein Schritt und es ist sowieso verschwunden. Ich blinzle durch das Zielfernrohr und erstarre, als der Sika sich dreht und plötzlich breit in die andere Richtung äugend auf der Schneise steht.

Mein Zeigefinger, der die ganze Zeit über gerade quer über dem Abzugsbügel lag, krümmt sich und findet den Weg in Richtung Abzug. Es gilt. Der Schuss bricht, der Spießer springt flüchtend über die Schneise in den Wald.

Zu den Regentropfen auf meinem Gesicht gesellen sich Tränen. Gut, dass das nicht so auffällt, wer will schon am ersten Abend die blonde, dusselige Heulsuse aus Deutschland sein. Ich war sicher, dass ich gut abgekommen bin, aber gut, ich hatte es versucht, warum sollte es hier anders sein, als zu Hause. Ich höre noch die Worte meines Pirschführers „better safe than sorry“…

Ryan blickt mich an und schon sprudelt aus ihm heraus: „Bist du gut drauf gewesen, wo meinst du, hast du getroffen, meinst du, du hast überhaupt getroffen, der Spießer hat überhaupt nicht gezeichnet, hast du dich sicher gefühlt, hast du getroffen?“

Eine Zigarettenlänge später stapfen wir hintereinander über einen matschigen Trampelpfad in Richtung Anschuss. Gebetsmühlenartig wiederholt Ryan seine Fragen. Je mehr ich über meinen Schuss nachdenke, umso sicherer bin ich mir: der Spießer MUSS liegen.

Der Anschuss spricht seine eigene Sprache. Zu einer nicht unerheblichen Menge Lungenschweiß finden wir auch dazugehörige Stücke. Damit ist das Stück sicher nicht mehr weit. Es scheint, als entspanne sich auch mein irischer Mitjäger etwas. Wir folgen der Schweißfährte und finden meinen Spießer nach etwa 40 m auf der nächsten Rückegasse.

Was für ein unbeschreibliches Glück. Was für eine Möglichkeit! Und das passiert wirklich mir!

Ryan bricht für mich auf und dann wird uns klar, wir müssen das Stück ja auch noch wieder zum Auto bekommen. Wie gut, dass wir beide überhaupt nicht auf Beute vorbereitet waren, wir haben schließlich auch beide mit nichts gerechnet. Also die Hundeleine umfunktioniert und los. Der Weg ist zwar nicht steinig und steil, aber dafür umso matschiger, rutschiger und glitschiger. Hatte ich den Regen erwähnt? Nach etwa 20 Metern verliert Ryan das Gleichgewicht und klatscht mit dem Gesicht voran ungebremst in den Matsch. Abfedern Fehlanzeige, beide Hände befinden sich an der Bergeleine. Das recht dumpfe Geräusch des Aufpralls macht nicht wirklich Mut, dass sich dieser Mann nochmals aufrichten würde. Aber da hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht und um die Stimmung etwas zu lockern und auch weil mir nichts Besseres einfällt, sage ich mit erhobenem Zeigefinger „slippery when wet“… Ryan war so perplex über diesen Ausspruch, dass er nach weiteren 30 m erneut mit einem Bauchklatscher im Dreck landet, weil er so lachen muss.

Schritt für Schritt und Meter für Meter kommen wir unserem Jagdtransporter näher und können dann den Spießer einladen. Der Abend verläuft traditionell: mit Guinness, Weib und Gesang, vielen Geschichten, wir sind fröhlich und ausgelassen. Voller Glück und Stunden später als verabredet, bugsiert Steffi uns ins Auto und im Anschluss an die Fahrt auch ins Betti. Danke an dieser Stelle für Deine Geduld.

Der nächste Morgen kommt für Teile unserer Wohn- und Jagdgemeinschaft viel zu früh, aber, weil wir ja Profis sind, lassen wir uns nichts anmerken und sehen auch an diesem Morgen mehr als bezaubernd aus. Gut, es ist dunkel und neblig, aber im Gegensatz zu denen am Stock gehenden männlichen Mitmenschen, die wartend und rauchend mit zwei handbreit Ringen unter den Augen in der Kälte stehen, sind wir alle Gewinnerinnen der diesjährigen Staffel der Top Models. Auch wenn der Sonntag etwas schleppend startet, bereitet er doch Alena eine besondere Freude, sie kann ein weibliches Stück Sikawild strecken. Zwar wird landläufig behauptet, man solle am Morgen nach einer durchzechten Nacht so weitermachen, wie man aufgehört hat, aber wir entschieden uns gegen einen Konter-Gin und für einen Ausflug ans Meer. Bei schönstem Sonnenschein aalen wir uns nixengleich wie eine Schar Sirenen im Sand und genießen unser Zusammensein. Böse Zungen behaupten anhand der Bilder, dass es nur wenig bist überhaupt nichts Sirenenhaftes hat, sondern mehr bis ausschließlich etwas von marodierenden Seekühen kurz vor ihrem Ableben. Ich gebe zu, das Ende unseres Sonntagsausfluges hat tatsächlich etwas von an den Strand gespült werden, überrascht uns doch eine große Welle und sorgt für einen Hardcoretest, der als wasserfest angepriesenen Kleidung.

Die Pirsch am Abend bringt leider für keine von uns Beute, aber jede von uns kann beim Abendessen etwas Spannendes erzählen. So sitzen wir bei Steckrübeneintopf gemütlich am Tisch und es fühlt sich sehr nach zu Hause an.

Und dann ist schon Montagmorgen. Unser letzter Tag. Nicoles‘ Willie hat den Anspruch, sie auf keinen Fall ohne Beute nach Hause fahren zu lassen. So kündigt er am Morgen an, sie würden so lange laufen, bis etwas zur Strecke gekommen sei. Das ist mal eine Ansage. Auch Steffi und Katja sind bislang ohne Abschuss und der Druck der Pirschführer steigt merklich.

Dass Steffi und ich recht nah beieinander pirschen merke ich daran, dass im Sonnenaufgang in perfekter Hörweite ein Schuss durch die Stille peitscht. Bald darauf folgt die Nachricht, dass sie ein Sikakalb erlegt hat. Waidmannsheil! Was für eine Freude.

Alena kann an diesem Morgen nochmals ein weibliches Stück erlegen. Die extra Herausforderung dabei war das Überqueren eines dem Amazonas gleichen Bachlaufes. Sowohl Norman als auch Alena nutzen dies, um die Flutungseigenschaften der Schuhe und das maximale Wasseraufnahmeverhalten von Socken und Hose zu testen. Respekt für so viel Einsatz!

Auf Frau Nicole müssen wir wie bereits von Willie angekündigt etwas warten. Sie erreicht uns mit den Worten sie habe bereits jetzt die Strecke von 47 Stockwerken zurückgelegt. Respektvolles Schweigen breitet sich aus und das will bei so vielen Schnatterliesen schon was heißen. Die nächste Ansage lautet, sie würde bereits nachmittags um 14.00 Uhr zur hoffentlich erfolgreichen Pirsch aufbrechen und nicht wie wir anderen erst 2 Std. später. Ab nach Hause und nochmal etwas ausruhen.

Der letzte Abend erfreut uns mit Regen, zur Abwechslung. Ich erwähne das nicht, weil wir davon überrascht waren, dass es überhaupt regnete, aber die vielen unterschiedlichen Arten von Regen, die innerhalb kürzester Zeit zu beobachten sind, verdienen Beachtung! Vor den dort lebenden Menschen verneige ich mich mit Ehrfurcht, dass sie im Laufe der Evolution nicht mit Schwimmhäuten geboren werden ist einzig ihrem eisernen Willen geschuldet.

Es schüttet, was nur geht. Ich hoffe so sehr für Katja und Nicole. Banges Warten bis zum Endes des Lichtes ohne eine Mitteilung der beiden. Dann endlich eine Nachricht in der Gruppe: Nicole konnte ein Schmaltier strecken! Wir sind alle so stolz auf sie und auch auf ihre geleistete Strecke Fußmarsch von insgesamt knapp 12 km!

Voller Adrenalin und euphorisch fährt Steffi unsere Mini-Meute nach Hause und wir bereiten gemeinsam unsere Henkersmahlzeit zu. UNSERE Männer haben wir dazu eingeladen und es gibt natürlich Sika zu essen. Wir braten Medaillons vom Rücken, reichen dazu Ofenkartoffeln, Salat und Baguette sowie frische Kräuterbutter und Tsatsiki. Ein wundervoller Abschluss einer atemberaubenden Reise.

Katja versucht am Dienstagmorgen nochmals ihr Glück, muss aber doch ohne Beute abreisen. Und wie es eine Familie nun mal so macht, bringen wir alle Katja zum Bus, denn leider geht ihr Flug viel früher als unsere. Wir anderen lassen uns ein letztes Mal von Steffi über die kleinen in Herbstlaubfarben bedachten Straßen chauffieren und nutzen die verbleibende Zeit für eine kurze Sightseeing-Tour ans Meer. Leider ohne Sonne von oben, dafür aber mit viel Sonne im Herzen.

Und auch wenn es kitschig klingt, aber weil Weihnachten ist kann man es ja ruhig mal sagen, ich hab euch alle sehr lieb und es war mir eine Ehre mit euch verreisen zu dürfen.


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