Die Unfallverhütungsvorschrift Jagd ist kein optionaler Vorschlag, sondern lebensrettend. Bei Manchen verblasst die Erinnerung an die UVV mit den Jagdjahren. Wie wichtig aber ihre Befolgung ist, zeigt unsere Serie wahrer Jagdunfälle. So ein kurioser Fall kann doch gar nicht passieren? Oh doch, wie man sieht…

Das vermeintliche Wildschwein

Im Spätsommer 2015 im Havelland in Brandenburg, der Heimat des literarischen „Herrn Ribbeck auf Ribbeck“: Die Mais-Monokulturen für die Biogas-Anlagen sind ein Magnet für Schwarzwild, das in den Maisschlägen gute Deckung und ein All-you-can-eat-Buffet vorfindet.

Der Staplerfahrer G. und die polnische Erntehelferin K. kennen sich noch nicht lange. An einem lauen Septemberabend haben sie sich nach der Arbeit getroffen und sind ein Stück zusammen spazieren gegangen. Schließlich lassen sie sich gemeinsam auf einer Decke im Gras nieder. Gegen 20 Uhr erscheint Jäger R., der zuvor seine Tochter zum Reitunterricht gefahren hat. Der 30-jährige besitzt seit drei Monaten den Jagdschein, ist aber schon seit Jahren geübter Sportschütze. Um diese Uhrzeit hat er noch gutes Büchsenlicht.

Von seinem Hochsitz aus vernimmt R. „ein Rascheln“. Später behauptet er vor Gericht, in 120 Metern Entfernung die Teller einer Sau erkannt zu haben. Er legt seine Blaser R93 an und stellt die Zieloptik auf maximale Vergrößerung. Um 20.03 Uhr bricht der Schuss. Das Geschoss im Kal. 30-06 durchschlägt in 80 Metern Entfernung den Oberkörper des G. auf Höhe der Achseln, zerstört lebenswichtige Organe und bleibt nachdem Austritt im Oberarmknochen seiner Begleiterin stecken. G. ist tot.

Alarmiert durch die Schreie der K. eilt R. herbei. Als er seine Tat realisiert, erleidet auch er einen schweren Schock, verständigt aber selbst den Rettungswagen. Die junge Frau wird sofort operiert.

Die Strafkammer glaubt die Version vom angeblich deutlich erkannten Haupt der Sau nicht und stellt fest, R. habe mehr oder weniger „blindlings“ geschossen. Das Urteil: Drei Jahre Haft wegen fahrlässiger Tötung und jeweils ein fünfstelliges Schmerzensgeld an die Hinterbliebenen und die Verletzte.

Mit dem „Ansprechen“ – also dem eindeutigen Identifizieren – des Wildes beginnt bereits der erste Teil der Fleischhygiene, nämlich das Erkennen abnormen Bewegens oder Verhaltens, das auf Krankheiten schließen lassen könnte, die eine Verwertung für den Verzehr ausschließen. Das Ansprechen muss zwingend mit dem Sehsinn erfolgen, eine akustische Wahrnehmung reicht nicht aus. Auch ein „Rascheln“ oder „da bewegt sich was“ sind nicht als Ansprechen zu bezeichnen. Zudem sollte bedacht werden, dass eine starke Vergrößerung des Sehfeldes der Zieloptik das Umfeld ausblendet.


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