Auch nach einem Schuss explodiert eine Rotte zwar meist im ersten Moment, kann aber schon kurz darauf totenstill verhoffen, um die Lage zu sondieren. In Bayern oder Baden-Württemberg etwa, wo auf Antrag inzwischen auch Wärmebildzielhilfen zur Streckensteigerung eingesetzt werden dürfen, wird in genau diesen Situationen dann selektiv, zielsicher und effizient weitere, für die Bestandsreduzierung enorm wichtige Strecke gemacht – bei nur einmaliger Störung des Revieres.

Erst vor kurzem stießen wir beim Pirschen auf eine kleinere Rotte, eine Bache der 70-Kilo Klasse mit ihren etwa zenterschweren Nachkommen. Der erste Schuss meines Jagdazubis Jonas saß perfekt, eben ein solcher Zentner Wurstmaterial fiel einfach um. Der Rest der Rotte spritzte lediglich ein paar Meter links und rechts von dem Weg, den man gerade bearbeitet hatte, in die seitlichen Hecken – und erstarrte zur Salzsäule. Sicher 15, vielleicht auch 20 oder 25 Minuten herrschte auf beiden Seiten des Weges und bei uns atemlose Stille, wir alle verharrten in einer Art Beamtenmikado – wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Erst gegen Ende hin machten die Sauen teilweise winzige, wohlgesetzte Schrittchen, mit denen sie im Schneckentempo keine 15m vor uns leise durch die Dickung glitten wie ein Indianer-Einbaum auf dem Amazonas, es war wirklich beindruckend. Ihr einziges Pech war, dass wir durch unsere WBGe eben trotz des dichten Bewuchses jederzeit wussten, wo die Stücke, vor allem, dass sie überhaupt noch da waren, sonst hätten wir schon längst aufgegeben – und da sich die Rotte ja wieder vereinen wollte, musste irgendwann ein Teil von ihr wieder den ausreichend hellen Weg queren…

Ansitze oder Pirschen bleiben nun wirklich nie mehr ohne Anblick, auch, wenn er vielleicht nicht immer jagdlich ist. Irgendetwas gibt es immer zu beobachten, und sei es nur der Kampf der Titanen unter den Waldmäusen, wenn es um Maiskörner an der Kirrung geht. Im November gab ich einem alten Jagdfreund ein WBG mit. Für den über 80-Jährigen, dem ich jagdlich sehr viel zu verdanken habe, eröffnete sich plötzlich eine wirklich völlig neue Welt. Vor ein paar Jahren hatte er altersbedingt sein wunderschönes Taunusrevier abgeben müssen, zwangsweise war seine Passion dadurch etwas eingeschlafen. Nun aber hatte ich ihm in der Nähe eine Jagdgelegenheit verschaffen können – und eben neue Augen. Für die neue Gelegenheit lernte er sogar, mit seinem Handy am regen WhattsApp-Verkehr unserer Jagdgruppe teilzunehmen. Seine neuen Augen entflammten seine Jagdleidenschaft dermaßen neu, dass er anfing - kein Witz-, sich händeringend Symptome und Diagnosen schwerer Gesundheitseinschränkungen einfallen zu lassen, um sich um einen schon längst gebuchten Weihnachtsurlaub samt Eheweib auf den Malediven zu drücken – den Kampf verlor er aber, zu seinem großen Ärger musste er mit in die Sonne der Palmeninseln fliegen statt in der Kälte und Dunkelheit sitzen zu dürfen. Wir haben schon eine nicht ganz allgemeinverständliche Passion, fürchte ich.

Jedenfalls aber war Paule Feuer und Flamme. Anfangs stellte er sich stundenlang einfach irgendwo ins Feld, um sich mit der Technik vertraut zu machen und zu beobachten. Einmal beschwerte er sich, dass er überhaupt nicht mehr mit dem Gerät zurecht käme, er sähe schlicht gar nichts. Trotzdem aber harrte er mehrere Stunden aus, bis endlich einer von uns Zeit hatte, sich seines Problems anzunehmen – vielleicht hätte ich ihm sagen sollen, dass man mit einem WBG nicht durch Autoscheiben schauen kann… Sekunden später jedenfalls hellte sich sein Blick wieder gewaltig auf, er verlängerte sein Gerätetraining um weitere Stunden und beobachtete unter anderem voller Passion auf 600m Rotwild im Nachbarrevier.


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