Es ist Mitte April, ich streife am frühen Abend durch das Revier. Das neue Jagdjahr ist gerade mal zwei Wochen alt. Die Abende sind wieder länger und Eiderstedt erwacht aus dem Winterschlaf. Die Felder werden bestellt. Glücklicherweise dominiert die extensive Weidewirtschaft, riesige Maiswüsten kennt man hier nicht. Die Schafe sind mit den Lämmern auf dem Deich, weithin höre ich sie blöken. Langsam kommen auch die Rinder raus. Eine Gruppe junger Ochsen kommt angelaufen, als sie mich sehen. Die Enten suchen im Reet nach Brutplätzen und die Hasen sind im Liebestaumel. In unserer Gegend sind die Bestände an Niederwild sehr gut, Enten, Gänse, Fasan, Hasen, Rehwild satt. Sonst gibt es nichts, aber Niederwild ist reichlich.
Der jagdliche Rhythmus im Niederwildjagdrevier beginnt mit der Bockjagd. Die Zeit bis der Bock aufgeht, vertreibe ich mir meist auf den Schießständen. Hier bei uns, den „Ontenschietern“ zählt etwas, wer gut Tontauben schießen kann. Viele der Alten haben nicht einmal eine Büchse, aber Tontauben schießen alle bis zum letzten Tag. In den letzten Jahren ist das Jagdparcourschießen immer populärer geworden, viele Schießstände bieten nun neben Trap und Skeet auch Parcourtauben an.
Da man bei uns in Nordfriesland heute schon sieht, wer in einer Woche zu Besuch kommt, ist es auch einfach in den Wochen vor der Bockjagd, sich einen Bock auszuspekulieren. Im Hegering beginnt die Bockjagd traditionell mit einem Morgenansitz mit nachfolgendem gemeinsamem Frühstück. Im vergangenen Jahr hatte mir der Hegeringsleiter ein paar Tage vor dem 1. Mai einen Sitz zugewiesen. Er stand zwischen ein paar Windkraftanlagen mit Blick auf ein Rapsfeld. Ansitz war geplant ab 4:45 Uhr und ich pirschte mich im Morgengrauen an den Sitz heran. Was heißt pirschen, der Flügelschlag der Windräder war so laut, dass ich meine eigenen Schritte nicht vernahm. Beim Sitz angekommen, stand der Bock schon da, auf 30-40 m, nur Lauscher und Gehörn waren zu sehen. Der Raps war schon gut hochgewachsen. Ich arbeitete mich langsam auf den offenen Ansitz rauf, bloß keine hektische Bewegung. Der Umgebungslärm war so hoch, dass Geräusche wohl nicht das Problem sein konnten. Der Bock äste vertraut Rapsblüten. Von dem Ansitz war die Schussposition besser und ich wartete bis der Bock quer an einer Stelle stand, an der der Raps nicht so hochaufgelaufen war. 4:55 Uhr kamen die ersten „Waidmannsheil“-Grüße von den Jagdfreunden aus der WhatsApp-Gruppe. Wie oft, kommt nach dem Schuss die Wildbergung; nun der Bock lag nur wenige Meter vor mir, aber es trennte uns ein zehn Meter breiter Wassergraben. Von den Treibjagden wusste ich, dass meist irgendwo ein Brett liegt. Ich fand auch eines und überwand mit Bock und Waffe einen 10 Meter breiten Graben auf einem 30 cm breiten Gerüstbrett – nur nicht nach unten schauen…