Oben angekommen begann der „Hirsch“ auf der Kanzel alles zu geben. Der Jagdfreund provozierte den Recken mit dem Hirschruf. Kurze Zeit später tauchten Hirsch und Schmaltier wieder auf und zogen über die Schneise bis zum Rand. So konnte er Ihn auch sehen und ansprechen. Wieder rein in die Dickung. Ich lag die ganze Zeit im Anschlag. Die Stimme neben mir sagte nur: „Lass ihn mich noch einmal sehen, wenn er rauskommt, aber ich bin mir sicher, er passt.“ Das Schmaltier kam wieder auf die Schneise und zog wieder bis zum Rand. Der Hirsch verhoffte, diesmal direkt an der Dickungskante in einem Farnhorst und war gut anzusprechen. Der Körperbau, das Haupt, der Altersknick in den Stangen, alles passte zu einem alten Hirschen. Meine Augen fingen langsam an weh zu tun. Ich schloss sie kurz, um wieder klar sehen zu können. „Wenn Du sicher drauf bist, schieß, der Hirsch passt“. Ja, ich war sicher drauf. Das Jagdfieber konnte ich beherrschen und der Punkt im Absehen stand ruhig Hochblatt auf dem Hirsch, ich ließ fliegen. Der Hirsch machte eine tiefe Flucht und verschwand in der Dickung. Verschwommen nahm ich das Kommando von hinten war „Bleib auf der Schneise drauf und wenn der Hirsch noch mal kommt schieß nochmal.“ Eine gefühlte Ewigkeit verharrte ich in der Position bis ich leise anmerkte, dass wohl kein Hirsch mehr kommt. Keine Antwort, ich drehte mich um, keiner mehr da. Ich hatte nicht mitbekommen, dass er nach dem Schuss in Windeseile den Sitz verlassen hatte, um zum Parallelweg der Schneise zu pirschen, falls der Hirsch die Dickung noch krank verlassen sollte. So saß ich da, alleine, zitterte wie Espenlaub und die ersten, stillen Tränen liefen mir die Wange runter. Ich war völlig überwältigt und konnte noch nicht wirklich fassen, was in den letzten Minuten passiert war.

Mein Jagdfreund kam zurück. Den Hirsch hatte er nicht gesehen, aber es noch ein paar Mal laut krachen hören, dann war Ruhe. Wir waren sicher, er liegt dort und machten uns auf zum Anschuss. Dort fanden wir nichts. Außer den Eingriffen der tiefen Flucht, die der Hirsch nach dem Schuss gemacht hatte. Wir verfolgten den Wechsel in die bürstendichte Lärchen-Brombeerdickung und fanden.. nichts. Etwas ratlos schauten wir uns an. Was tun? Wir wollten es von der anderen Seite versuchen, in der Richtung wo er das Krachen vernommen hatte. Also alles Umschlagen, ich blieb auf dem Weg stehen. Es dauerte ewig bis mein Jagdfreund wieder aus der Dickung kam. Das Gesicht sprach Bände. Er erzählte mir, dass vor ihm etwas weggezogen sei und dann die Schneise wieder überfallen hat in die andere Richtung. Er hatte die Befürchtung, dass es der Hirsch gewesen sei. Gedämpfte Stimmung machte sich breit und bei mir kamen die ersten Zweifel auf. Hast du Dir mit den 200 m doch zu viel zu getraut? Nein, ich war im Schuss doch so sicher! Uns fiel allerdings dann ein, dass das Schmaltier vermutlich auch noch irgendwo in der Dickung gewesen sein muss. Wir beschlossen seinen Wachtelrüden zu holen. Am Anschuss angesetzt fiel er sofort die Fluchtfährte an und lag stramm im Riemen, allerdings mit einem deutlichen Rechtsbogen, gleich zu Anfang der Dickung, den wir nicht gelaufen waren. Sekunden später hörten wir ihn knurren und Zauseln. Der Hirsch lag nach 30 Schritt mausetot mit sauberem Schuss. Wir hatten ihn. Die Freude war grenzenlos.

Das Erlebnis war so wie ich es mir nicht hätte besser ausmalen können. Wir umarmten uns und mir kamen die Tränen. Tränen der Freude und der Dankbarkeit, das so erleben zu dürfen und einen reifen Hirsch in einem Revier erlegen zu können, in dem ich seit fast zehn Jahren zur Jagd gehe. Es war zwar letzten Endes nicht der Gesuchte, der blieb ein Phantom, aber es hätte mir kein anderer Hirsch mehr Freude bereiten können, wie dieser. Der Hirsch wird für mich immer etwas ganz Besonderes bleiben.


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