Erinnern Sie sich, wann wir zum letzten Mal einen ordentlichen Winter mit viel Schnee und Frost hatten? Bei uns im südlichen Teil Tschechiens ist das mindestens drei Jahre her. Die Jagdgeschichte, die ich dieses Mal mit Ihnen teilen möchte, ist sogar noch älter: alles geschah schon im Jahre 2005. Mein erstes Stück Muffelwild habe ich 1992 erlegen können (ein Lamm in meinem allerersten Jägerjahr bei meinem Onkel im Böhmerwald). Und dann, 2005, habe ich mit meinem guten Freund Dalibor, der damals als Forstmeister in diesem Revier gearbeitet hat, eine Jagd auf einen bis zu vier Jahre alten Widder geplant.
Angefangen hat damals alles Anfang Oktober. Bei ihm zuhause, in einem Jagdhaus an der Grenze zu Österreich, haben wir meine Jagd in diesem Revier im Detail vorbereitet – ich wollte ab Mitte Oktober mit der Jagd beginnen, damit der Widder schon im Winterfell sein würde (ich habe gleich geplant, eine Schulterpräparation von meinem ersten Widder machen zu lassen). Da ich unter der Woche nicht in unserem Wochenendhaus war, konnten wir uns nur auf die Wochenenden konzentrieren. Wenn nötig hatte ich auch die Möglichkeit, bei meinem Freund zu übernachten.
Die Zeit vergeht und unser erster Jagdtag ist da. Ich erinnere mich ganz klar – am Samstag Nachmittag hat es ziemlich geregnet, aber dann war der Regen auf einmal weg und die Sonne hat den nassen Wald zum Kristallkönigreich gemacht. Wassertropfen haben überall im Wald geblitzt, als wir uns auf den Weg ins Revier gemacht haben. Zum letzten Mal haben wir abgestimmt, was und wie wir jagen wollen, damit es nicht zu Missverständnissen kommt und ich, falls nötig, schnell schießen kann. Wir haben uns entschlossen, unseren ersten Versuch auf einem Hochstand inmitten eines großen Kahlschlages zu starten. Mit der Hoffnung, dass das Wild aus dem Wald ziehen würde, um sich in den letzten Strahlen der heutigen Sonne aufzuwärmen. Ja, das war unsere Hoffnung – doch die Mufflons waren anderer Meinung. Obwohl wir sie hörten, als sie durch den alten Bestand hinter uns zogen, kamen sie nicht in den Kahlschlag hinaus. Sofort war mein Pulsschlag so hoch, dass der Hochstand im Rhythmus meines Herzens vibrierte. Ohne Anblick geblieben gehen wir also langsam durch den Wald zurück zum Auto. Auf einmal hören wir ein Geräusch direkt vor uns – was kann das sein? Sauen! Eins, zwei, drei… Insgesamt 15 schwarze Flecke zogen vor uns über den Forstweg. So nahe! Sie waren nur maximal 10 Meter vor uns! Also hat St. Hubertus uns doch einen tollen Anblick geschenkt – Schwarzwild so nahe zu sehen ist ja immer etwas Besonderes!
Die Nacht habe ich im Jagdhaus bei meinem Freund verbracht, um mir anderthalb Stunden Fahrt nach Hause zu sparen. Der nächste Tag begann mit einem Wetter, das die Muffel überhaupt nicht mögen. Damals hatten wir keine Apps für die Wettervorhersage, so dass uns dieses Wetter ein bißchen überraschte. Diesmal war unser Plan, zunächst am alten Hochstand nicht weit vom Jagdhaus unser Jagdglück zu probieren und anschließend mit einer Pirsch entlang des Waldes fortzufahren. Es ist sehr ungemütlich – kalter Westwind mit noch kälteren Regentropfen im Gesicht ist nicht gerade ein angenehmer Wecker. Langsam wird es heller und uns klar, dass bei diesem Wetter kein Wild auf die offene Fläche ausziehen würde. Doch auf einmal bemerke ich eine Bewegung am Waldrand direkt vor uns – ein Schaf mit einem Lamm zieht langsam auf die Wiese. „Das ist aber eine Überraschung! Sowas würde ich nicht erwarten!“ kommentiert Dalibor. Doch diese Stücke sind nicht alleine – noch drei Schafe mit zwei Lämmern ziehen hinterher und dann… dann ein Widder. Aber was für ein starker! „Den habe ich hier lange nicht gesehen!“ wispert Dalibor mir leise zu. Dalibor ist ja ein Profi und kennt sein Revier und das Wild darin sehr gut, also überrascht es mich nicht. Alle Stücke lassen uns diesen Anblick nur kurz genießen und ziehen dann langsam zurück in den Wald, wo sie gut vor Wind und Regen geschützt sind. Wie in einem Traum. Der Regen wird immer stärker und der Wind lässt auch nicht nach. Wir entscheiden uns, für heute Schluss mit der Jagd zu machen, steigen langsam und vorsichtig vom Hochstand runter und freuen uns schon auf einen warmen Tee im Jagdhaus. Mein erstes Wochenende auf Muffeljagd ist vorbei und eine weitere Arbeitswoche steht vor mir.
Die Zeit vergeht sehr langsam und ich zähle schon die Tage, wann ich wieder zu Dalibor fahren kann. Leider geht es sich auf dem nächsten Wochenende nicht aus und ich muss eine weitere Arbeitswoche überleben.
Der November ist da und ich fahre schon am Freitag Nachmittag raus zu Dalibor. Heute haben wir Kaiserwetter, Temperatur nur gegen 5 Grad, herbstliche Sonnenstrahlen und der Wald ändert seine Farbe in herbstliche Farbtöne. Ich liebe dieses Wetter! „Heute werden wir pirschen!“ sagt Dalibor gleich, als er mich sieht. Einen Kaffee zu genießen schaffen wir noch, aber dann machen wir uns auf den Weg ins Revier. Die Lage von Dalibors Jagdhaus kann nicht besser sein – es befindet sich direkt im Revier, also brauchen wir kein Auto und gehen einfach aus dem Garten raus. Schon sind wir am Waldrand und pirschen langsam und vorsichtig weiter. Dalibor kennt die Wechsel seines Wildes sehr gut – er lebt sein ganzes Leben hier, seit seiner Kindheit verbringt er die meiste Zeit im Wald. Das Resultat sollte sich bald zeigen. Wir sind nicht ganz 100 Meter vom Waldrand entfernt, als sich Dalibor hinter einem starken Baum versteckt. Ich bin gleich neben ihm und kann sehen, dass vor uns einige Stücke Muffel ziehen. Einige gute Widder und paar Stücke Kahlwild. Unter den Widdern ist ein eindeutig schwächerer Einwachser. „Den ganz linken, siehst Du ihn?“ fragt leise Dalibor. „Ja, klar!“ antworte ich und bereite meine Büchse vor. Die Widder sind ständig in Bewegung, „mein“ Widder steht entweder hinter einem Baum oder vor oder hinter einem anderen Widder. Und jetzt auf einmal spürt das Kahlwild etwas und wird langsam unruhig. Das älteste Schaf zieht direkt weg von uns, die Widder und restliche Stücke Kahlwild folgen ihnen logischerweise nach. „Schade!“ kommentiert nüchtern mein Freund, „Du bist zu langsam!“ Dalibor lacht, als er mein Gesicht sieht. „Gut, dass Du nicht geschossen hast, wenn Du nicht sicher warst!“ lächelt er auf einmal. Na ja, so ist Dalibor.
Wir pirschen weiter tief in den Wald zu einer großen Wiese, wohin das Wild sehr oft am Abend auszieht. Diesmal ist das nicht der Fall, obwohl das Wetter passt. Aber doch sehen wir etwas auf der Wiese! Es wird langsam finster, aber ganz klar: eine Rotte Sauen steht nicht weit von uns. Aber kein einziger Muffel! Wenn wir probieren würden, die Sauen anzupirschen, bekämen sie unseren Wind, der am Rand des Waldes immer so dreht. Auch ohne Waidmannsheil kann man die Pirsch aber schön genießen.
Das Wetter war damals schon im November ziemlich kalt, nach der Vorhersage sollte sogar bald Schnee kommen. Die nächsten Wochenenden aber schaffte ich es nicht, zu Dalibor zu kommen. Also ist es schon das dritte Novemberwochenende, bis ich den nächsten Versuch planen kann. Und das Wetter – passt genial! Zirka 20 cm Schnee und eine Temperatur ziemlich unter Null erwarten mich im Revier! Also ein wunderschönes Wetter für die Jagd. Es ist Samstag früh, als ich mein Auto vor dem Jagdhaus parke. „Gleich hinter dem Jagdhaus auf der Wiese habe ich gestern Deinen Widder gesehen!“ sagt Dalibor sofort zu mir, als ich aus dem Auto aussteige. Also für die Jagd jetzt in der Früh haben wir schon einen Plan! Es ist noch ziemlich finster und wir pirschen langsam über eine Wiese hinter dem Jagdhaus zum Wald. Dort geht es langsam weiter, ganz langsam pirschen wir zu den Wildwechseln. Im Schnee sehen wir, dass das Wild wirklich da ist. Nur jetzt den Passenden finden! Wir sind am Rand des Waldes und können schon einige Stücke Muffelwild auf der Wiese entdecken. Langsam nähern wir uns weiter – wir sind alle schneeweiß. Jetzt müssen wir auf Knien weiterrutschen. Wir können die Widder schon gut ansprechen – drei sehr starke Widder, alle im Medaillenbereich. Aber auch alle zu jung – also das Ergebnis und zugleich auch die Zukunft der Hege in diesem Revier. Meine Hände ohne Handschuhen sind eiskalt. Egal – das ist die Jagd, die ich liebe! Wir verbringen den ganzen Vormittag im Wald – ein paarmal haben wir noch Muffel in Anblick bekommen, aber leider immer zu weit, um sie gut anzusprechen.
Im Jagdhaus erwarten uns schon ein köstliches Mittagessen und guter Kaffee mit Kuchen. Dabei planen wir, was wir am Nachmittag unternehmen. Dalibor schlägt vor, einfach auf dem Hochstand zu bleiben, wo er meinen Widder gestern gesehen hat. Er sollte doch dort wieder kommen! Na, warum nicht, „Du bist der Profi und kennst Dich aus!“, kommentiere ich den Plan.
Der Himmel ist bewölkt und das Thermometer hinter dem Fenster zeigt -5 Grad. Gut anziehen und wir machen uns auf den Weg zum Hochstand, der zirka 300m vom Jagdhaus entfernt ist. Wir machen uns unseren Platz auf dem Hochstand gemütlich und bemerken sofort eine Bewegung links über uns. Junge Widder ziehen aus dem Wald, gefolgt von ein paar Stück Kahlwild. Nervös begutachte ich die Widder mit meinem Fernglas. Zu jung und zu gut! Na ja, wir haben noch Zeit. Langsam spüre ich die Kälte an meinen Füßen, vergesse das aber sofort wieder, als direkt vor uns weitere Stücke aus dem Wald ziehen. Ein gut veranlagter, dreijähriger Widder mit einem Schaf und einem Lamm. Langsam ziehen sie entlang des Hochstandes und verschwinden dann hinter einer Kante der Wiese.
Ein paar Minuten ist es ruhig, es wird dunkel, langsam beginnt es zu schneien, als ich wieder eine Bewegung vor uns bemerke – ein gut veranlagter Widder. Und dann ein weiteres Stück – er muss sich drehen, damit wir ihn gut ansprechen können. Die paar Sekunden sind wie eine Ewigkeit für mich! Doch! Ein vierjähriger Einwachser! Dalibor gibt mir unser abgesprochenes Signal zum Schießen. Sehr vorsichtig nehme ich die Büchse in die Hand und suche die beste Position zum sicheren Schuss. Er steht still und sichert vor sich. Durch die Stille donnert der Schuss. Der Widder zeichnet klassisch für einen Blattschuss und flüchtet zurück in den Wald. Doch den erreicht er nicht mehr, sondern bricht noch auf der Wiese zusammen. „Waidmannsheil!“ wünscht mir Dalibor! Ich zittere wie irrsinnig – aber nicht von der Kälte. Langsam klettern wir runter und gehen zum Stück. Hier, im Schnee vor mir, liegt mein erster Widder! Das Erlebnis ist durch den Schnee noch intensiver! Ich sehe mir den Widder an, als Dalibor den letzten Bruch, letzten Bissen und Erlegerbruch zelebriert.
Es waren wunderschöne Momente, die ich mit Dalibor bei dieser Jagd erleben durfte. Und immer wieder hat er mir bewiesen, was für einen guter Jäger und Jagdkamerad er ist!