Auch die weiteren Ansitze vergingen ohne Waidmannsheil, es gab viel zu sehen, aber kein Stück Wild, das den selbstauferlegten Regularien entsprochen hätte. Am Samstagabend saß ich in der Nordhälfte des Revieres. Nah am Wald, bei den Streuobstwiesen, wo sich in den Gräben dunkle Verschläge gebildet hatten. Ein Rehwild-Habitat wie aus dem Lehrbuch, aus allen Richtungen konnte ich hier mit Anblick rechnen.
Die Strahlen der Sonne wärmten noch mit satter Kraft, da erspähte ich einen Bock vor einem dornigen Kuschel. Nicht besonders stark im Wildbret, Stangen unter Lauscher noch komplett im Bast, sprach ich ihn trotz der leichten Gabelung des Gehörns als zu entnehmenden Jährling an. Breit stand er da, das Haupt gesenkt um frisches Grün zu äsen. Im Anschlag wartete ich gespannt, dass ich einen sicheren Schuss anbringen konnte. Er hob das Haupt, kaute entspannt, mein Absehen ruhte hinter dem Schultergelenk. Der gestochene Abzug quittierte das krümmen meines Abzugsfingers sofort, dampfspeiend zischte das Geschoss aus dem Lauf – und ich wäre am liebsten hinterher gesprungen. Denn just in dem Moment, unmittelbar als der Schuss sich löste, sah ich durch das Zielfernrohr den Bock einen Schritt nach vorne machen. Ich hätte gerne das Geschoss gegriffen, es abgelenkt, irgendwie versucht zu verhindern, was nun nicht mehr zu ändern war. Viel zu weit hinten sah ich den Aufprall der Kugel auf den Wildkörper. Sein Zeichnen, heftiges Auskeilen mit den Hinterläufen, passte zu meiner Befürchtung: Der Treffer saß mutmaßlich weich.
Ich spürte mein Herz durch die Brust bis ans Hemd schlagen. Verzweiflung und Wut auf mich selbst machten sich breit, flüchteten sich dann in einen zaghaften Anflug von Hoffnung, dass die Kugel doch noch ihre tödliche Kraft entfalten konnte.
Eine Stunde verging, in der ich dieses Wechselbad der Gefühle mehrmals durchlief. Die Dämmerung nahte bereits und ich wollte auf keinen Fall bis zum Dunkelwerden warten. Bangen Schrittes machte ich mich auf, um den Anschuss zu untersuchen. Wenig, dunkler Schweiß, etwas Grün, alle schlechten Vorahnungen bestätigten sich. Die schwache Wundfährte führte in die nahe Hecke, der Hund musste nun richten, woran ich mit Sicherheit scheitern würde. Patrick beendete seinen Ansitz vorzeitig und lenkte den schaukligen Kübelwagen über den Feldweg, brachte mir Hund und Rüstzeug. Pacco strahlte wie immer Ruhe aus, aufmerksam beobachtete er mich wie ich den Riemen und das Geschirr aus dem Kofferraum nahm. Als würde er mir meine Unsicherheit, meine Selbstzweifel lindern wollen, trottete er gelassen neben mir her zum Anschuss, „Auf meine erfahrene Nase kannst du dich schon verlassen“, schien er mir sagen zu wollen.