„Diese Woche waren hier fünf Hähne,“ informiert mich mein Onkel und weckt damit erst recht meine Nervosität. Wo sind sie? Sollten wir sie nicht schon hören? Plötzlich schreckt nicht weit vor uns ein Reh. Was ist los? Ich kontrolliere mit meinem Fernglas die Wiese vor uns. Es ist immer noch finster, trotzdem kann ich vor uns sehr gut eine Rotte Sauen erkennen. Das ist der Grund, warum das Reh geschreckt hat - und wohl auch der, warum bis jetzt keine Hähne vor uns sitzen!
Langsam kann ich die Details der Wiese und ihre Umgebung sehen, kann schon die ersten warmen Strahlen der Sonne in meinem Gesicht spüren. Schön, dass es wieder wärmer wird - aber wo bleiben die Birkhähne? „Die Sauen…“ kommentiert mein Onkel leise die Situation. Mehr muss er nicht sagen. Langsam kehren wir zurück zum Auto. „Dort! Hinter dem Weg!“ bricht es aus meinem Onkel heraus. Ich greife zu meinem Fernglas und kann ungefähr 300-400m vor uns tatsächlich einen Birkhahn sehen. Es dauert aber nicht lange und er verschwindet im Gebüsch. Super! Nicht nah und nicht lang, aber ich habe meinen ersten Birkhahn gesehen! Was für ein Erlebnis!
Schon einen Birkhahn zu sehen ist für viele Jäger etwas Besonderes. Aber die Jagd auf ihn zu erleben? Wäre sowas noch möglich? Natürlich, in Russland! Lange haben mein Jagdfreund Stefan und ich eine solche Reise eben nach Russland geplant. Einmal mussten wir sie sogar einen Tag vor dem Abflug stornieren – wegen eines Vulkanausbruches von Grímsvötn in Island wurden damals tagelang viele Flüge in Europa verboten. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, heißt es ja: Ein Jahr später sitzen wir dann doch im Flugzeug und fliegen von Wien nach Moskau, dann geht es mit der transsibirischen Eisenbahn weiter nach Kirow. Vor dort aus dauert es noch einmal ungefähr zwei Stunden mit dem Auto, bis wir unsere Reise in einem Dorf namens Parjug beenden.
Das Ende der Welt oder die Rückkehr ins 19. Jahrhundert – so könnte man unsere Reise auch betiteln. Ein Vorteil für die Natur, die „fast“ so ausschaut wie damals. Man kann aber auch sofort sehen, dass der Mensch, der hier lebt, nicht immer nur macht, was der Natur gut tut. Überall stehen alte, verrostete LKWs und Traktoren, die aus der Zeit der Kolchosen hier verstreut und nach der letzten Fahrt einfach stehen gelassen wurden. Große Kahlschläge, auf denen die Hälfte des Holzes nicht einmal geborgen wurde, überall Abfälle und Plastik. Auch das ist hier ein Gesicht der (für uns „unberührten“) Natur. Trotzdem gibt es hier gute Populationen von Birk- und Auerhahn, Schnepfe und Elch, manchmal kommen auch Wölfe vorbei. In diesem grünen Königreich also werden wir die nächsten Tage auf der Jagd verbringen.