Gerade noch am Überlegen, ob und wenn ja wann, das Alttier vielleicht wiederkäme, trat plötzlich ein einzelnes Stück Schwarzwild aus. Weit und breit keine weiteren Sauen zu sehen. Eindeutig konnte ich dann auch den Pinsel sehen und das Stück damit als Keiler ansprechen. Und was für ein Keiler das sein musste! Das Adrenalin schoss mir erneut durch den Körper und ich beschloss, die Chance zu nutzen und ihn zu erlegen. Gemächlich zog er über die Wiese Richtung Weizen und blieb einige Male kurz stehen, um zu brechen. Als ich mir hundertprozentig sicher war, einen sauberen Schuss antragen zu können, stand er aber bereits etwa drei Meter vor dem Weizen. Ich pfiff ihn einmal kurz an, er verhoffte und die Kugel flog. Ich war sicher, sehr gut abgekommen zu sein. Durch das Mündungsfeuer konnte ich aber nicht sehen, wohin er geflüchtet ist. Der Blick durch das Glas ließ leider erstmal nichts Gutes erahnen: Weg war er. Mir schossen tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Ob ich es nicht beim Rotkalb und dem Fuchs hätte belassen sollen. Dass ich doch aber absolut sicher bei der Schussabgabe war. Ob ich den Keiler womöglich krank geschossen habe. Dass ich jetzt doch mal locker bleiben sollte, denn schließlich ist es ja oft so, dass Schwarzwild noch ein paar Meter geht, bevor es liegt. Dass der Keiler bestimmt einige Meter weiter im Weizen liegt. Aber was wenn doch nicht?… Was wenn das eine richtig üble Nachsuche wird? Denn ich war mir sicher, dass dies kein Überläuferkeiler war. Ich hatte die Haderer gesehen und die Körperform war auch eindeutig. Außerdem war ich aufgrund der Entfernung auch sicher, dass er deutlich über 50-60 kg schwer sein musste…

Nachdem ich meinem Jagdfreund, der auf einem anderen Sitz saß, mitgeteilt hatte, was passiert ist, stieg ich vom Hochsitz runter, um den Anschuss zu markieren und dann das Rotkalb aufzubrechen. Ich marschierte also an die Stelle, die ich mir gemerkt hatte und fand: nichts. Ich ging auf und ab und suchte Schweiß. Aber ich konnte einfach nichts finden. Verzweiflung machte sich breit. Gut abgekommen und kein Schweiß?

Mir blieb jedoch erstmal nichts anderes übrig als zunächst das Rotkalb zu versorgen. Trotz des Stresses den ich verspürte, nahm ich mir einen Moment Zeit für das Kalb und den Fuchs. Bedankte mich in Gedanken, dafür, dass das Kalb sein Leben gelassen hat und wir uns davon ernähren dürfen. Dem Fuchs erklärte ich in Gedanken, warum ich ihn erlegt habe. Dann brach ich das Kalb auf. Als ich gerade das Schloss aufbrechen wollte, erschreckte ich mich fast zu Tode. Ich war in Gedanken beim Keiler und beim Aufbrechen und plötzlich stand mein Jagdfreund neben mir. Ich hatte ihn weder kommen sehen noch gehört. Ich war aber heilfroh, dass wir uns nun zu zweit der Herausforderung stellen konnten. Wir suchten also beide erneut nach Schweiß. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Eine Zeit in der ich mir erneut tausend Gedanken gemacht habe. Aber jedes Mal wenn ich mich fragte, ob ich den Schuss bereuen sollte, dachte ich, dass ich diesen Schuss zu hundert Prozent verantworten kann und konnte. Und nun musste ich mich eben dieser unangenehmen Situation stellen. Immer noch mit den Augen auf dem durch die Taschenlampe beleuchteten Untergrund und gleichzeitig in Gedanken, rief er plötzlich: „Schweiß!“ Ich rannte sofort hin und tatsächlich: ein ganz kleine Menge Lungenschweiß. Von einer Totsuche ausgehend, suchten wir also weiter die nähere Umgebung ab. Plötzlich schallte ein freudiges und staunendes „Waidmannsheil!“ durch die doch etwas unheimlich gewordene Stille. Er hatte den Keiler tatsächlich etwa 120 Meter vom Anschuss entfernt, an einer Hecke am Weizen gefunden. Ich rannte hin und fiel meinem Jagdfreund in die Arme. Beinahe hätten sich Tränen der Erleichterung gelöst. Die Freude war dann aber doch auch so groß, dass ich mich hinkniete und nicht schlecht staunte. Was ein Keiler! Und das in meinem zweiten Jagdjahr…

Nachdem wir den Keiler aufgebrochen hatten, konnten wir ihn auch zu zweit bergen. Die Fahrt mit dem Auto über die nasse und teilweise steile Wiese war dann allerdings erneut für ein paar Adrenalinkicks gut.


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