Ein Lebenshirsch auf Lebenszeit
Jagdgeschichten

Ein Lebenshirsch auf Lebenszeit

Text & Bilder Ales Maxa

Zuerst eine Frage an Sie: Wann kann man davon sprechen einen Lebenshirsch erlegt zu haben? Bei meinem ersten reifen Hirsch (10+ Jahre) hat mir mein guter Jagdfreund gesagt: „Lieber Ales, das ist Dein Lebenshirsch!“ Die Stangen waren 110 cm lang und auf einer Seite war eine Gabel, zirka 40 cm lang. In der nächsten Brunft habe ich einen Hirsch (12+ Jahre) erlegt, deren Stangen sich fast in der Mitte berührt haben – und wieder mit einer Gabel auf einer Seite. Solche Hirsche trifft man ganz selten in seinem Leben, dies war mir bewusst und ich freue mich jedes Mal über solche Giganten. In dieser Geschichte, die ich in der diesjährigen Brunft, zusammen mit meinem Sohnemann Vojta, erlebt habe und die ich jetzt mit Ihnen teilen möchte, geht es um einen ganz anderen Hirsch – um einen Hirsch, den die meisten von uns wohl nie im Leben in Anblick bekommen. Meine Freunde in diesem Revier, die dort ihr ganzes Leben verbracht haben, hatten bis jetzt noch nie einen solchen Hirsch gesehen.

Die Geschichte begann eigentlich schon Anfang September, als ich meinen Freund Pavel (und gleichzeitig meinen Pirschführer in der diesjährigen Brunft) angerufen habe. „Der Vater meines Kollegen hat zum Geburtstag eine Hirschjagd von der Familie bekommen. Der Kollege hat ihn also als Pirschführer bei der Jagd begleitet. Angeblich haben sie auf einen starken Sechser geschossen. Schweiß haben wir gefunden, der Schweißhund hat uns in ein anderes Tal geführt, wo wir dann die Fährte in einem jungen Fichtenbestand nach einigen Kilometern der Nachsuche verloren haben.“ Das ist aber sehr schade – solche Hirsche bekommt man nicht oft in Anblick, dachte ich mir. Weil es damals bei der Jagd noch ziemlich finster war, waren sie nicht in der Lage, den Hirsch einwandfrei ansprechen zu können, sie wussten nur, dass es sich um einen außergewöhnlichen Burschen handeln musste. Dies war also meine erste Begegnung mit dem Hirsch, zumindest in erzählter Form.

Es war schon Mitte September, eine Woche vor meiner geplanten Jagd. Ich habe mal wieder, wie zur Zeit fast jeden Tag, mit meinem Freund Pavel telefoniert. Er berichtete mir nun fast aufgeregt, dass ich sofort kommen müsste und nicht noch eine Woche bis zu meiner Anreise warten soll. Er sieht regelmäßig einen starken 6er oder 8er Hirsch und er vermutet, dass dieser nicht mehr lange bleiben wird. Leider war mein Kalender voll und ich konnte einfach nicht sofort zur Jagd aufbrechen – wie war das noch? Das Privat- und Arbeitsleben darf das Jagen nicht beeinträchtigen... Schön wäre es. Die Vermutung, dass es sich hierbei um den vor wenigen Wochen angeschweißten Hirsch handelte, wurde immer mehr gefestigt. Die Revierleiter haben sich besprochen und vereinbart, dass der Jäger, der sich vor kurzem auf den Hirsch versucht hat, es weiter probieren soll. Die Tage vergingen und ich habe mich täglich nach dem Status mit dem Hirsch erkundigt. Sie haben ihn noch einige Male gesehen, allerdings ohne Kahlwild und immer so, dass kein sicherer und sauberer Schuss möglich war.

Endlich, die dieses Mal wirklich lange Woche war vorbei und ich bin zusammen mit meinem Sohn Vojta zu unserer geliebten Brunft aufgebrochen. Unglaublich, wie schnell auch dieses Jahr wieder vergangenen ist. Mein Junior, für den diese Brunft schon die Dritte in Folge ist, sollte mich für dieses Wochenende auf der Jagd begleiten dürfen. Am Sonntag heißt es für ihn dann Heimfahrt, die Schule ruft und wie wir alle wissen, geht diese erst einmal vor. Seine Zeit wird kommen. Für eine abendliche Pirsch am Freitag sind wir leider zu spät angekommen.

Am nächsten Morgen durfte ich auf fast schmerzliche Art erfahren, dass mein Wecker nicht funktionierte. Als ich eine Stunde später als geplant aufgewacht bin, hat es mich fast aus dem Bett geschlagen. Frühstück und eine ausgiebige morgendliche Wäsche fiel für uns als aus. Wir kommen etwas verspätet am ausgemachten Treffpunkt mit Pavel an. Dieser lacht nur und glaubt mir kein Wort. Dafür berichtet er uns, dass er vor ein paar Minuten einen Schuss gehört hat. Es sei die Richtung, wo der Gesuchte seinen Einstand hat. Die Hoffnung, dass der Hirsch nun endlich liegt, ist groß.

Ein Lebenshirsch auf Lebenszeit

Ein Lebenshirsch auf Lebenszeit

Wir fahren also zur Oder und jagen dort entlang des Flusses – wir haben viele Hirsche rufen gehört und auch einige in Anblick bekommen. Doch (zumindest) meine Gedanken waren bei diesen Sechser – Wurde er erlegt? Oder nicht? Langsam pirschen wir zurück zum Auto – als Pavel eine Nachricht auf seinem Handy bekommt. Sie hatten den Hirsch auf 20 m vor, nach dem Schuss haben sie ihn verloren, aber etwas Schweiß ist wohl da. Um 10 Uhr treffen wir uns zur Nachsuche. „Können wir auch mitgehen?“, frage ich gleich. „Na klar“, antwortet Pavel und beschreibt mir den Weg, damit ich den Treffpunkt finde.

Ich fahre mit Vojta in die Jagdhütte, es wird Zeit für ein leckeres, wenn auch verspätetes Frühstück. Dieses Mal überpünktlich, sind wir um kurz vor 10 Uhr sind am vereinbartem Treffpunkt. Auch andere Jäger sind dabei - es ist fast wie ein kleines Event. Nach nur wenigen Metern sehe ich, dass diese Nachsuche alles andere als leicht wird – der Bestand, durch den wir uns bewegen ist schwer zu durchdringen. Um ihn nicht womöglich wieder zu verlieren, werden die Jäger um einen Teil des Bestandes abgestellt. In einer Ecke dieses Teiles stehe ich mit Vojta. Auf einer Seite geht ein Rückweg bergauf – ich habe ca. 150 m Sichtfeld. Die andere Seite geht zackig in den Bestand, also kann ich auf maximal auf 30 M sehen. Die Zeit vergeht, auf einmal höre ich es vor knacken und im gleichen Moment sehe ich einen Fleck, der über die Gasse springt. Dahinter der Laut gebende Schweißhund. Ich rufe Pavel, der ganz in meiner Nähe steht. „Das war ein anderer Hirsch“, informiert er mich. Durchatmen.

Auf einmal fängt es auch noch an zu regnen. Ich schicke Vojta ins Auto, damit er nicht nass wird. Anschließend schaue ich wieder meine lange Rückegasse hoch und sehe doch tatsächlich ganz am Ende einen Hirsch stehen. Der Hirsch äugt in die mir abgewandte Richtung. Langsam dreht er sich – ja, das ist er! Eine unglaubliche Form und Erscheinung des Geweihs fällt mir sofort auf. Er schont den einen Vorderlauf, er muss der Gesuchte sein. In Ruhe beobachtet er den Schweißhund, der nur 100-150 m von ihm entfernt ist. In kniender Position versuche ich Ruhe in mich und meine Waffe zu bekommen, aber das Absehen tanzt auf dem ganzen Hirsch. Es ist zu weit! Ich bin kein Schütze für einen solchen Schuss. Was soll ich jetzt machen? Ich kann es probieren, aber wenn der Schuss nicht passt, ist der Hirsch mehr oder weniger verloren. Wenn ich ihn laufen lasse, könnte er langsam in das andere Teil des Bestandes ziehen, wo wir ihn dann hoffentlich finden. Oder - ich probiere näher an ihn ranzukommen. So werde ich es tun. Ich bin ein paar Meter weiter, als der Hirsch humpelnd die Linie überquert. OK, jetzt ist er weg! Hätte ich doch schießen sollen? Nein, obwohl es eine Nachsuche ist, war die Chance nicht hoch. Ich höre die anderen Jäger zu mir kommen. Sofort erzähle ich, was ich gesehen und erlebt habe. Die Gesichter einiger sprechen Bände - sie hätten geschossen. Was ist mit Ihnen?

Doch diese Entscheidung habe ich nun einmal für mich getroffen und wir müssen nun überlegen, was wir jetzt machen. Der Nachsuchenführer berichtet, dass Sie nach kurzer Zeit keinen Schweiß mehr gefunden haben. Der Hund ist aber schon ziemlich müde, weil er zahlreiche Nachsuchen in den letzten paar Tagen hinter sich hat. Es wurde also entschieden, einen Hundeführer mit einem anderen Schweißhund am Nachmittag zu holen. Treffpunkt hier um 13 Uhr. Diese Pause nutzen wir um uns an der Jagdhütte umzuziehen und ein kleines Mittagessen zu uns zu nehmen.

Punkt 13 Uhr treffen wir uns alle wieder und ein älterer bayerischer Gebirgsschweißhund, der angeblich sehr scharf auf Wild ist, sollte nun probieren, diesen Hirsch für den Jäger zu retten. Ich zeige dem Hundeführer die Stelle, wo ich den Hirsch gesehen habe. Dann bekommen alle ihre Plätze - Vojta und ich stehen auf einem Panzerweg. Auf einer Seite herrscht ein dichter Fichtendschungel, auf der anderen dann ein etwas älterer Bestand, der nicht mehr allzu dicht ist. Schnell hören wir den Hund, dann herrscht wieder Ruhe, nur die Regentropfen, die vom Himmel fallen machen ein leises Geräusch.

Wie lange stehen wir hier nun schon? Eine halbe Stunde oder eine ganze? Inzwischen berichte ich Vojta von die Grundprinzipien einer Nachsuche. Als wir wie aus dem Nichts schmerzhaftes Stöhnen direkt unter uns hören. Und dann wieder nichts – nur Ruhe und Regen. Auf einmal sehen wir den Hund, der langsam auf dem Panzerweg zu uns kommt. Als er kurz vor uns ist, kann ich sehen, dass er verletzt ist – sein Hinterlauf zeigt eine fiese, blutende und tiefe Wunde. Vermutlich von dem angeschweißtem Hirsch. Vojta bleibt mit dem Hund da und ich kontaktiere die anderen, um die Nachsuche zu beenden und den Hund zum Tierarzt zu bringen. Der Hundeführer ist binnen Minuten bei uns und schaut die Wunde seines alten Jagdfreundes an. Sein Gesichtsausdruck lässt erahnen, wie eng die Beziehung zwischen diesem Mensch und seinem Hund ist. Alle sind bei dem Hund, als ich noch einmal den Panzerweg hochschaue. Das ist doch wohl nicht wahr?! Von dem älteren, etwas lichteren Bestand zieht unser Hirsch zurück in den Dschungel, wo er sich sicher fühlt. „Schaut! Unser Hirsch!“ platzt es aus mir hinaus. Beide, der Hundeführer und ein anderer Jäger, laufen hinter dem Hirsch her, Vojta und ich bleiben bei einer Kreuzung des Panzerweges stehen. Ein Schuss hallt durch die Stille! „Gott sei Dank“, denke ich mir. Und noch ein Schuss. Und noch einer. Aha, das kann doch nur heißen, dass der Hirsch endlich liegt. „Horrido!“ hören wir es vor uns rufen! Also doch, der Hirsch liegt! Die Zeit der Unsicherheit war Gott sei Dank vorbei.

Ein Lebenshirsch auf Lebenszeit

Ein Lebenshirsch auf Lebenszeit

Wir gehen langsam in die Richtung, wo die Jäger vor ein paar Minuten verschwunden sind. Nach 100 m sehen wir sie schon, alle stehen nebeneinander vor dem Hirsch. Und ich kann Ihnen sagen, das ist ein wirklicher Hirsch. Ein echter Lebenshirsch! In Ruhe schauen wir und all die Details des alten Recken an. Ein Sechser mit sehr langen Stangen, der die Masse des Geweihs weit oben trägt. Sechs sehr spitze und gefährliche Enden, die für andere Hirsche, aber auch für unseren Hund, lebensgefährlich gewesen sind. Auch die anderen Jäger, die mitbekommen haben, dass nun Jagd vorbei ist, kommen zu uns und stellen sich wortlos um den Hirsch. Niemand von uns hat einen solchen Hirsch jemals zuvor gesehen. Endlich kommt auch der Erleger – diese Momente sind wirklich sehr emotional und einmalig.

Wir ziehen den Hirsch nach unten zum Forstweg und bereiten alles vor, um dem Hirsch die letzte Ehre zu erweisen. Der letzte Bissen, der Inbesitznahmebruch, der Schützenbruch und die Klänge des Jagdhorns – all das gehört für uns nach diesen aufregenden Stunden, ja eigentlich Wochen dazu. Wir genießen diese so emotionalen Momente – ich bin mir sicher, dass dieser Hirsch wirklich seinen Namen als Lebenshirsch verdient. Letztendlich wurde der Hirsch auf 183 CIC gepunktet – also Bronzemedaille (was aber in diesem Fall nicht wichtig ist – zeigt aber nur, wie stark dieser Hirsch ist). Nur zur besseren Vorstellung: Eine Stange hat 115 Cm, die andere 112 Cm.

Man kann Abschüsse von Goldmedaillen Hirschen „kaufen“, man kann mit Glück starke, alte Hirsche mit Gabeln erlegen. Aber so einen Hirsch zu erlegen, das kann man mit Geld nicht aufwiegen. Dafür braucht man unglaubliches Glück und dazu noch eine außerordentlich gute Beziehung mit St. Hubertus und Diana!


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