Einmal Schwedenmädchen - immer Schwedenmädchen
Jagdgeschichten

Einmal Schwedenmädchen - immer Schwedenmädchen

Text & Bilder Annica Mentzel

Waren Sie schon einmal in Schweden? Wenn ja, dann wissen Sie wahrscheinlich ganz genau, wovon ich gleich berichten werde. Dann wissen Sie auch, dass Schweden weitaus mehr zu bieten hat als die berühmteste und zugleich stärkste Heldin in ihrer Villa Kunterbunt, weitaus mehr als blauäugige, blonde Menschen, weitaus mehr als den abermals blaugelben Möbelriesen, weitaus mehr als Fleischklößchen in Hülle und Fülle, die hin und wieder auch gerne in Paarung mit der einen oder anderen Zimtschneckenart auftreten, weitaus mehr als eine Hauptstadt, die auch als Venedig des Nordens betitelt wird, weitaus mehr als die in Deutschland gewiss nicht unbekannte Königsfamilie mit ihrem jagenden Oberhaupt, weitaus mehr als den nationalen Feiertag in der kürzesten Nacht des Jahres, der mittlerweile auch international bekannt ist und entsprechend gefeiert wird, weitaus mehr als diese abscheuliche Dosendelikatesse, die in der Vielzahl aller Fälle ausschließlich zu Unterhaltungszwecken exportiert wird, weitaus mehr als - naja, und so weiter und so fort… Falls Sie dem Land der Elche noch keinen Besuch abgestattet haben, dann wollen Sie hoffentlich nach dem Lesen in das Auto springen und die entsprechende Reise unmittelbar antreten. Eine Reise in das Land, das für seine unbeschreiblich schöne Natur und unter uns Jägern besonders für seinen ganz eigenen König der Wälder bekannt ist. Warum ich so ins Schwärmen gerate, sobald ich von Schweden erzählen soll? Nun ja, die Antwort liegt nahe: Ich habe eine ganz besondere und zugleich unheimlich tiefe Verbindung zu diesem Land.

Die Sommer meines bisherigen Lebens verbrachte ich fast alle in einem kleinen roten Schwedenhaus in der Heimat Astrid Lindgrens: Småland. Dank meiner Familie, genauer gesagt, dank meiner Großmutter, die damals mehr oder weniger spontan entschied, nicht mehr zum Wandern nach Tirol zu fahren, sondern aus abwechslungsfreundlichen Gründen lieber den Weg gen hohen Norden einzuschlagen - ein Entschluss, der nicht nur sie, sondern vielmehr auch meinen Vater entsprechend geprägt hat! - bin ich mit diesem Land aufgewachsen. Denn wie das Leben so spielt, kam es auch für meine Großmutter anders als eigentlich gedacht: Sie hatte ihr Herz nach einigen Urlauben ganz und gar verloren, kaufte kurze Zeit später ein kleines Ferienhäuschen für die Familie, das seither Jahr für Jahr gewachsen ist und nun, wie meine Großmutter zu sagen pflegt, einen genauso eigensinnigen Eindruck vermittelt wie die Familie. Passt also.

Ich habe Schweden folglich relativ schnell kennen und lieben gelernt, kann und will es mir nach 25 Jahren nicht mehr aus meinem Leben wegdenken. Der Großteil meiner Kinderfotos ist in diesem Land entstanden. Dass ich schon im Säuglingsalter in den Genuss der schwedischen Natur kommen konnte und im Laufe der Jahre während meiner Schulferien eine Räubertochter sein durfte, die jede freie Minute an der frischen Schwedenluft verbrachte, dort Wald, Wiesen und Umgebung auf eigene Faust, bei Zeiten auch auf dem Mofa erkundete, in Bäume kletterte, kleine Frösche fing und immer, immer wieder mit Anlauf in den See sprang, bedeutet mir unheimlich viel. Ich hätte mir wahrhaftig keine schönere Kindheit vorstellen können. So kam es, wie es kommen musste: Als richtiges „Papakind“ war ich fortan geprägt. Mein Kinderherz schlug also bereits recht früh im grünen Takt, so zählte ich fünf Jahre, als mein Vater mich - endlich! - das erste Mal mit auf den Ansitz nahm. Zunächst „nur“ im heimischen Revier in Mecklenburg-Vorpommern, kurze Zeit später hatte ich dann aber auch schon Elchjagd-Premiere Die jagdliche, naturliebende Grundsteinlegung war somit ziemlich erfolgreich und hat mir seither Erinnerungen geschenkt, die ich zeit meines Lebens wohl nicht so schnell vergessen werde…

Was mir zuallererst in den Sinn kommt, wenn ich an Schweden denke, ist, auch auf die Gefahr hin, dass Sie mir keinen Glauben schenken wollen - die Luft. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Worte meines Vaters, der uns Kinder jedes, wirklich jedes Mal nach der Anreise ins Schwedenland fragte, ob wir sie denn riechen könnten, diese Schwedenluft. Lange Zeit wusste ich nicht, was er damit meinte. Den anderen ging es wohl ähnlich, sodass wir lediglich brav zustimmend nickten. Irgendwann im Laufe meiner Jugend musste etwas passiert sein, denn schlagartig wurde mir bewusst, was er damit meinte: Man kann es wirklich riechen, das Schwedenland. Wenn ich heutzutage nach Schweden fahre, den Öresund überquert und Malmö hinter mir gelassen habe, dann fahre ich früher oder später rechts ran, vertrete mir die Beine und atme tief ein, um sie zu riechen, diese leider unbeschreiblich schöne Schwedenluft. Im Sommer, wenn wilde Blumen blühen und die Sonne den Waldboden erwärmt, gemischt mit dem Duft der schwedischen Kiefern und dem ein oder anderen Wachholderbusch, ist sie besonders gut, lassen Sie sich das gesagt sein oder machen Sie einfach kurzerhand den Selbsttest. Es lohnt sich, so oder so.

Wenn Sie sich für einen Selbsttest entschieden haben, dann planen Sie ruhig etwas mehr Zeit ein. Schweden hat nämlich noch viel mehr zu bieten. Klar, Städte wie Göteborg oder Stockholm sind ziemlich schön anzusehen und eigenen sich definitiv für einen Shopping-Trip mit ansprechendem Sightseeing-Programm - dennoch: Mich zieht es jedes Mal direkt zu uns in den Wald. Ich bin und bleibe eben eine Räubertochter. Mehr braucht es einfach nicht, um mich glücklich zu machen. Denke ich an Schweden, kommt mir neben der Luft natürlich auch die Natur mit einer unvergleichlich schönen Landschaft in den Sinn. Ein fast sagenhafter Mix aus scheinbar unheimlich groß wirkenden Wäldern, unzähligen Seen, etlichen Findlingen und wilden Wiesen. Dann und wann wird das Landschaftsbild mit dem typisch roten Schwedenhaus gekrönt, das natürlich unmittelbar an einem im Sommer tatsächlich blau glitzernden See liegt und nicht nur zum Angeln einlädt. Nach einem solchen Schwedenhaus kommt entweder ein anderes - oder aber, es kommt für lange, lange Zeit erst einmal nichts anderes als Wald.

Haben Sie dieses Bild vor Augen? Dann träumen Sie ruhig weiter! Im Übrigen quält mich schon wieder das Fernweh - da ist es durchaus beruhigend, zu wissen, dass die Tage bis zum nächsten Trip gezählt sind. Schließlich geht am 16. August der Schwedenbock auf… Kurz danach im September stehen dann erste Vorbereitungsarbeiten im Sinne der nahenden Elchjagd an, deren Auftakt jedes Jahr den zweiten Montag im Oktober datiert, jedenfalls bei uns in Südschweden. Zu wissen, dass es also nicht mehr allzu lange dauert, bis ich endlich wieder schwedischen Boden unter meinen Füßen spüren kann, macht es erträglicher, gelassen zu bleiben und nicht vom Fernweh gequält zu werden, während der Rest meiner Familie gerade den schönsten Bilderbuchsommer in Småland verbringt. Um sicherzugehen, dass Sie das richtige Bild vom Land der Länder haben, füge ich einige Bilder hinzu, mit denen man meine Schwedenliebe bestenfalls zumindest ansatzweise nachvollziehen kann.


Schweden im Mai

Ich erwähnte ja bereits, dass ich in absehbarer Zeit gen Norden aufbrechen werde. Lediglich der Gedanke an diese Reise, an die nur allzu bekannte Fahrt hat eine beruhigende Wirkung auf mich. Mag sich komisch anhören, ist aber so. Die Strecke könnte ich immerhin ja auch blind fahren - ich habe sie wahrlich lieben gelernt. In den Sommermonaten starte ich oftmals mitten in der Nacht, erreiche dann den Öresund während des Sonnenaufgangs und lege den Rest der Strecke durch den südlichen Teil des Landes seelenruhig zurück. Nach etwa drei Stunden weiterer Fahrzeit treffe ich auf diese Art praktischerweise zur Frühstückszeit im Dorf der Dörfer ein - ideal natürlich dann, wenn ein Teil der Familie bereits oben verweilt. Setze ich mich mit dem Wissen einer anstehenden Schwedenreise in mein Auto, dann bin ich bereits tiefenentspannt. Und überglücklich in reinster Vorfreude, versteht sich von selbst… Meine Tasche ist relativ schnell gepackt, passiert mittlerweile tatsächlich eher automatisch und auch die Dackel muss ich gar nicht groß zum Einsteigen überreden - wenn es ernst wird, sind sie die ersten, die in oder zumindest auf der Reisetasche ihren Platz einnehmen. Anscheinend haben Hunde dahingehend generell ein entsprechendes Gespür. Natürlich nur, um sichergehen zu können, dass sie nicht vergessen werden - is’ klar… Zu erwähnen, dass Schweden demzufolge nicht nur für uns Menschen, allen voran für uns Jäger, die wir vermutlich alle die Natur lieben, das reinste Paradies ist, ist wahrscheinlich überflüssig. Sei es drum, auch Hundeglück kennt keine Grenzen!

Was mache ich also, wenn mich die Sehnsucht über zwei Landesgrenzen hinaus ins Schwedenland getrieben hat? Nun, ich lebe und, vor allem, erlebe Schweden, ganz einfach. In meinem Fall heißt das aus mehr oder weniger deutscher Sicht: Ich bin irgendwo im Wald und einige Tage lang nur bedingt erreichbar. Dort, wo ich dann bin, komme ich auf direktem Weg zur Ruhe, kann mich entspannen und ein Land genießen, das mir so sehr am Herzen liegt. Nebenbei erwähnt: Ich spreche fließend schwedisch, seitdem ich während der Oberstufe ein halbes Jahr in Lappland gelebt habe. Wenn ich demnach Schweden genieße, dann meine ich damit im Großen und Ganzen die Natur. Ist ja irgendwie auch logisch - mehr gibt es auf unserer Ecke in Småland nicht unbedingt zu sehen. Das mag für den einen oder anderen ein größeres Ausschlusskriterium sein, kann aber eben auch unheimlich wohltuend sein. Gerade in Anbetracht der heutigen Zeit, in der wir wir immer intensiver und öfter auf der Suche nach Entschleunigung sind. So werde ich, gelinde gesagt, einige Tage lang ausschließlich das tun, was mich glücklich macht:

Mit den Hunden im Wald rumspringen, das Revier kontrollieren, das Haus auf Vordermann bringen, das Grundstück pflegen, die eine oder andere Ladung Zimtschnecken

backen und - je nach Wetterlage - natürlich auch jagen, angeln oder baden. Der nächste „Ort“ ist etwa 30 Autominuten entfernt und die nächstgrößere Stadt ist Kalmar an der Ostseeküste in ungefähr einer Stunde Entfernung. Eine Tatsache, mit der ich ganz wunderbar leben kann, denn auf der Fahrt ins Revier, für die ich nicht weniger als 30 Minuten benötige, komme ich meistens an einem Supermarkt vorbei, aus dem ich mir regionale Milch, schwedischen Käse, das typische Schwedenbrot und natürlich eine schwedische Zeitung - ja, gut, es ist meistens eine Jagdzeitschrift - mitbringe.

Das Nötigste ist in manchen Fällen, ganz besonders in schwedischen, eben vollkommen ausreichend. Je nach Mückenlage werden die Abende am liebsten vor dem Haus, am See, auf dem Ansitz oder auf dem Sofa vor dem Kamin und mitunter auch vor dem Fernseher verbracht. Meinen ersten Kaffee genieße ich morgens gerne in der Sonne auf dem Treppenabsatz des Hauseingangs, während ich die Stille der schwedischen Wälder genieße. Ist die Haustür erst einmal offen, gibt es den lieben, langen Tag lang kaum Gründe, sie wieder zu schließen. Schwedischer geht es kaum, schon gar nicht im Sommer. Nerven kann mich dann gewiss nicht viel, höchstens ein Specht oder der Eichelhäher - in seltenen Fällen allerdings auch der Dorfnachbar, wenn er sonntags um 8 Uhr sein, nennen wir es einfach mal, Brennholzhackgerät einschaltet…

Ganz egal zu welcher Jahreszeit, jeder Schwedenurlaub, jeder noch so kurze Aufenthalt ist einzigartig. Die Natur könnte im Laufe des Jahres kaum unterschiedlicher sein. Wenn Sie allerdings mich fragen: Am schönsten ist wahrhaftig der goldene Herbst, in den bekanntlich der Beginn der Elchjagd fällt. Eine Zeit, in der die Uhren im ganzen Schwedenland anders ticken. Umso unvergesslicher wird diese besondere Zeit, wenn man sie, wie wir, im Kreise der liebsten, bestenfalls ebenso jagenden Menschen genießen kann. Schön ist aber auch der Sommer mit seinen langen Tag und hellen Nächten. Und der Frühling, wenn nach dem dunklen Winter schlagartig alles grün wird. Und der Winter, wenn man über den gefrorenen See laufen kann, um auf skandinavische Art zu angeln, bevor man dann ins warme Haus vor den Kamin zurückkehrt. Sie merken oder wissen es schon: Jede Jahreszeit hat ihren Reiz - erst recht in Schweden. Nirgends habe ich die einzelnen Monate intensiver, wenn nicht sogar bewusster erlebt.

Ich freue mich jedenfalls schon jetzt auf Natur pur und auf umso mehr Zeit mit Familie und Freunden. Auf das besondere Gefühl von Freiheit und darauf, dass sich die Welt für einige wichtige Tage lang nicht ganz so schnell dreht. Für das nächste Mal habe ich mir fest vorgenommen, das Revier zur Abwechslung mal mit anderen Augen zu erkunden. Ich weiß zwar, dass neben dem Elch- und Rehwild auch die Sauen bei uns zu Hause sind, habe bisher aber ein anderes Augenmerk gehabt - Stichwort Elch. Das hat sich unter anderem durch das letzte Wochenende geändert, an dem ich mehr über das Pirschen, zumindest auf unsere heimischen Sauen erfahren habe. Und auch wenn ich Sauen hier oben in Mecklenburg gewohnt bin - nun hat mich der Ehrgeizig gepackt.

Jetzt will ich wissen, wo genau sie sich bei uns aufhalten und wie ich hauptsächlich pirschend an sie herankomme. Ich möchte das Revier einfach aus einer ganz anderen Perspektive noch intensiver kennenlernen. Wer von Ihnen schon einmal in Småland war, der weiß vielleicht, dass die dicht bewachsene, von Findlingen und Steinen wirklich jeder Größe geprägten Landschaft durchaus eine Herausforderung sein kann, wenn man das dortige Schwarzwild bejagen möchte. Sauenkontakt hatte ich bereits einige Male, meistens eher überraschend und unter ungünstigen Voraussetzungen, sodass ich definitiv von einem gewissen Maß an überaus tagaktivem Schwarzwild ausgehen kann.

Leuchtet ja ein, wenn man das unscheinbare Eldorado genauer betrachtet und die Entfernung zum nächstgelegenen Haus im Hinterkopf hat. Sobald ich in zwei bis drei Wochen den Weg ins schwedische Paradies gefunden habe, werde ich mich abends außerdem zusammen mit meinem Vater und meinem Bruder auf bestimmte Kahlschläge oder an gewisse Wiesen hocken, in der Hoffnung, dort den bekannten Schwedenbock anzutreffen. Letztes Jahr war die Blattzeit zum Aufgang der Bockjagd mitten im August noch voll in Gange, sodass wir gerade auf jenen Kahlschlägen ein vergleichbar leichtes Spiel hatten. Das Rehwild ist hier nicht nur deutlich kräftiger und größer, es ist vielmehr auch umso heimlicher, besonders natürlich in Waldnähe. Die heißeste Zeit des Jahres lässt jedoch auch das schwedische Rehwild nicht sonderlich kalt…

Spannend wird es allemal, so viel ist sicher. Und langweilig wird es in Schweden generell nie, das ist fast noch sicherer. Es ist eben, wie es ist.

Schweden bleibt ein Traum für Menschen, die die Natur lieben. Und was mich betrifft, so haben Sie es sich inzwischen sicherlich schon denken können: Einmal Schwedenmädchen - immer Schwedenmädchen.


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