Könige der Alpen
Jagdgeschichten

Könige der Alpen

Text & Bilder Ales Maxa

Rotwild oder auch Königswild genannt ist eine Wildart, die nicht jeder Jäger viel zu Gesicht bekommt, geschweige denn es bejagen kann. Für viele ist es eine Besonderheit diese Tiere beobachten und erleben zu können, so auch für mich. Oft sind sie weit entfernt, doch was ist, wenn sie ganz nah sind, bis auf wenige Meter herankommen? Wäre das nicht wunderbar? Wir reden hier nicht von Gattertieren, nein – ich hatte das große Glück, die großen Roten in freier Wildbahn hautnah zu erleben. Lesen Sie in diesem Artikel, wie es dazu kam...

Schon seit Jahren lausche ich den Erzählungen meines Jagdfreundes Thomas, der immer wieder von „Tom und seinen Hirschen“ berichtet. Tom soll „seine“ Hirsche anfassen können, durch das Rudel hindurch laufen und ihr volles Vertrauen genießen. Dabei gibt es keinen Zaun oder sonst eine kuriose Besonderheit. Alles spielt sich an der Winterfütterung ab. Einmal saß Tom neben einem Hirsch, packte eine seiner Stangen und behielt diese in der Hand, als der Hirsch kurz absprang. Unfassbar, ich war mir noch nicht sicher, ob das nicht unter Jägerlatein abzulegen war, daher musste ich das ganze live und in Farbe sehen, vor allem aber mit meiner Kamera festhalten.

Im letzten Jahr habe ich es zeitlich nicht geschafft, aber dieses Jahr musste es klappen! Da dies wohl einmalige Momente sind, wollte ich gerne meinen Sohn die Chance geben, ein Teil davon zu sein und so planten wir unseren Ausflug für Mitte Januar. Das Wetter ist dann meist schon oft schön, was für den Anblick und die Fotos sehr viel besser ist. Wie so oft, wenn man etwas plant, ging natürlich auch etwas schief. Mein Sohn bekam Angina und musste somit das Bett hüten, ich fuhr schweren Herzens alleine los.

Ich treffe mich mit Tom bei Bad Hofgastein, von dort aus fahren wir zusammen in das Revier "Angertal". Pünktlich bin ich am vereinbarten Treffpunkt und da kommt auch schon Tom: Groß, Vollbart, lange Haare und eine klassische Lederhose, ein echter Jäger, wie man dort sagt. Mein heutiger Gastgeber ist Hotelier, der sein Leben den Hirschen gewidmet hat und eine herausragende Persönlichkeit ist. Wir quatschen um dies und das, vor allem aber darüber, wie klein doch die Welt der Jäger ist und wie man, über ein paar Ecken, fast jeden kennt.

Das Wetter ist traumhaft. Blauer Himmel, Sonnenschein und Schnee, richtiges Kaiserwetter. Was habe ich ein Glück. Das Revier ist 1.200 ha groß und die Fütterung liegt auf einer Höhe von rund 1800 m – ich kann meine Vorfreude kaum verbergen.

Während der Fahrt erzählt mir Tom alles über „seine“ Hirsche. Es fing vor vielen Jahren an, als er das Revier übernommen hatte. Anfangs waren die Roten natürlich scheu und haben sich nicht gezeigt, wenn ein Mensch in der Nähe der Fütterung war. Nach drei Jahren zeigten sich die Hirsche auf einige Entfernung, aber immerhin, sie waren da und lernten Tom zu akzeptieren. Nach fünf Jahren kamen sie sogar, wenn er noch da war. 10 Jahre hat Tom, oder besser das Rotwild gebraucht, um ihm zu vertrauen. Nun dulden sie ihn und auch andere Personen in ihrer Nähe, aber nur an diesem ganz bestimmten Ort. In jedem anderen Revierteil sind sie genauso menschscheu, wie es sein soll.

Langsam klettert das Auto den steilen Berg hinauf. Früher musste Tom das ganze Futter mit dem Hubschrauber hochbringen lassen. Etwa 800 kg wurden pro Flug den Berg rauf geschafft. 250 Flüge und 30 Helfer brauchte es um eine Winterration hinauf zu schaffen. Sie können sich vorstellen, was das an Geld und Zeit gekostet hat. So beschloss Tom in einen schon bestehenden Weg, auf dem wir gerade fahren, zu investieren. Täglich nutzt er oder seine Frau diesen extra für die Hirsche angelegten Weg, um sie in der Notzeit zu füttern. Keinen Tag lässt er sie warten. Die großen Roten, gut 150 Stück, brauchen jährlich rund 200 t Futter. Es besteht aus einer Mischung aus Luzernenheu, Maissilage, getrocknetem Apfeltrester und Soja. Die jährlichen Kosten belaufen sich auf 50.000 bis 70.000 Euro.

Endlich sind wir da und das Auto hält an und schon erblicke ich die ersten Stücke Rotwild. Ca. 20 Stück, fast ausschließlich Kahlwild und ein paar junge Hirsche. Als wir aussteigen weichen sie nur kurzzeitig Richtung Wald zurück.

"Geh Hirscherl! Jo! Jo, wos is denn?", begrüßt Tom die Hirsche und öffnet die Scheune, wo das Futter gelagert ist. Neben der Fütterung sind auch Bänke, wo sich Besucher setzen können und dem einmaligen Treiben zuschauen können. Sofort kommt ein junger Sechser auf Tom zu und lässt sich wie ein Hund den Rücken kraulen. Ich traue meinen Augen nicht und setze mich erst einmal auf eine Bank. Schon kommt ein Zehnender auf mich zu und forkelt sein Geweih vorsichtig in meine Beine während er sich das Futter schmecken lässt. Wie soll ich so bloß Fotos machen, das Wild ist einfach zu nah, solche Probleme kenne ich meistens nicht. Weitere Stücke kommen aus dem Wald zu uns gezogen und junge Hirsche testen ihre Kraft aneinander aus.

Und wie stark sind die Stücke und Trophäen von diesen Hirschen? Generell werden die Hirsche ab dem 12. Lebensjahr bejagt, dann kann man von alten, reifen Hirschen sprechen. Oft werden sie noch älter. Unter den Hirschen sehe ich allerdings, wie in jedem Revier, verschieden starke Stücke, auch was das Wildbret angeht. Links neben mir steht zum Beispiel ein einjähriger Gabler. Einige Kälber würden diesen Winter meiner Meinung nach, ohne die Fütterung nicht überleben. Tom sieht das etwas anders. Er meint, dass man den schwächeren Stücken ein, zwei Jahre Zeit geben sollte. Sie werden sich schon noch machen. Oft sind sie einfach nur ein wenig später gesetzt und haben so einen kleinen Nachteil im ersten Winter.

Könige der Alpen

Die Hierarchie wird ganz deutlich, als ein Zwanzigender aus dem Bestand zur Fütterung zieht. Alle anderen Stücke weichen seinem Weg und der Fütterung zurück. Er braucht nicht beweisen, dass er hier die Hosen an hat und genießt so seine Zeit alleine an der Fütterung. Die Alten kommen nicht jeden Tag, umso glücklicher bin ich, dass ich diesen reifen Recken beobachten durfte.

Die Zeit vergeht wie immer viel zu schnell und es ist an der Zeit Abschied zu nehmen. Plötzlich erschrecken die Stücke und ziehen Richtung Wald. Tom erklärt mir, dass das ab und an mal vorkommt, sie aber bald wieder zurückkommen würden. Siehe da, als wir im Auto sitzen, ziehen bereits die ersten, mutigen Stücke zurück zum Futterplatz.

Aus dem Auto sehe ich das wunderschöne Panorama dieses Alpentals. In Gedanken bin ich immer noch bei den Hirschen und dem Kahlwild, so ein Erlebnis hat man wirklich nicht täglich. Wir plaudern auf dem Heimweg noch über einige Themen, wie zum Beispiel die schwierige Situation mit den angrenzenden Bundesforsten. Die sind natürlich ganz und gar nicht begeistert, von solch einer Fütterung.

Vieles ist noch ungefragt, die Zeit war einfach zu knapp. Ich werde, wenn ich darf, aber ganz sicher wieder kommen. Mein Sohn muss dieses Spektakel unbedingt auch einmal erleben.

Begeistert und berauscht von diesen letzten Stunden, steige ich in meinen Wagen und mache mich auf den Weg nach Hause. Es machte mir überhaupt nichts, dass ich dieses Mal zwei Stunden im Stau stecken geblieben bin, denn der Erinnerungsfilm von dem heutigen läuft in Dauerschleife in meinem Kopf.


Laden...