Optikkolumne: Wie funktioniert ein Zielfernrohr Teil IV
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Optikkolumne: Wie funktioniert ein Zielfernrohr Teil IV

Text & Bilder Dr. Helke Karen Hesse

Vergrößerung und Sehfeld

Vergrößerung und Sehfeld

Das Vergleichen verschiedener Produkte ist ein wesentlicher Teil der Kaufentscheidung. Oft finden sich aber Produkte mit verschiedenen grundlegenden Spezifikationen in einer Produktklasse, die dann in Testberichten miteinander verglichen werden. Aber was ist überhaupt vergleichbar?

Kann man ein Drückjagdgläser mit einer 1.1-fachen unteren Vergrößerung mit einem Drückjagdglas mit einer 1-fachen unteren Vergrößerung bezüglich des Sehfeldes einfach so vergleichen? Wir werden sehen, dass dies nicht der Fall ist! Aber vielleicht gibt es Möglichkeiten, Zielfernrohre mit verschiedenen unteren Vergrößerungen vergleichbar zu machen?

Dieser Teil der Optikkolumne soll eine erste Hilfestellung beim kritischen Bewerten von Testberichten liefern. Dabei wird es zunächst um die Vergrößerung und das Sehfeld gehen, denn beide Parameter stehen in enger Relation zueinander und beeinflussen sich gegenseitig. Mit der Vergrößerung ist in diesem Fall nicht der Zoomfaktor, sondern die (untere) Grundvergrößerung eines Zielfernrohres gemeint. Schaut man sich herstellerunabhängig die Produkte einer Zielfernrohrlinie an, so stellt man recht schnell fest, dass das Objektiv des Produktes ausschlaggebend für die untere Vergrößerung ist – der hintere Teil ab der mittigen Kugel ist bei den Produkten einer Linie identisch, wie man bei dem Vergleich eines Drückjagdglases und eines Ansitzglases in Bild 1 deutlich erkennen kann.

Zielfernrohr für Drückjagd und Ansitz aus einer Produktlinie im Vergleich

Ähnlich wie bei Fotoobjektiven, die man je nach gewünschter Vergrößerung in unterschiedlichen Brennweiten benutzt, ist auch bei den Zielfernrohren der ausschlaggebende Faktor die Brennweite des Objektivs. Da das Absehen mit fest vorgegebenem Durchmesser in der Brennebene des Objektivs liegt, ergeben sich die Zusammenhänge zwischen Vergrößerung, Sehfeld und Brennweite des Objektivs sehr anschaulich aus geometrischen Überlegungen, die in Bild 2 dargestellt werden.

Sehfelder bei verschiedenen Brennweiten

Führt man vom äußersten Punkt des Absehens eine gedachte gerade Linie durch die Mitte der Frontlinse des Objektivs, so erhält man im Abstand des Objekts in erster Näherung das Sehfeld in diesem Abstand. Daraus folgt unmittelbar, dass mit kürzer werdender Brennweite, das Sehfeld linear größer wird. Da das Absehen vollständig vom Zwischenbild ausgefüllt ist, wird die Vergrößerung entsprechend kleiner. Eine Darstellung verschiedener Produkte dreier nicht namentlich genannter Hersteller, zeigt diese Zusammenhänge in der nachstehenden Tabelle auf. Bei doppelter unterer Vergrößerung halbiert sich in etwas das Sehfeld, bei dreimal so großer Vergrößerung drittelt es sich ungefähr. Dies lässt sich beliebig fortsetzen und gilt allgemein für alle Zielfernrohre.

Damit ist auch die Frage nach der Vergleichbarkeit beantwortet! Um ein Ansitz-Zielfernrohr mit 2,4-facher unterer Vergrößerung mit einem solchen mit 2,5-facher unterer Vergrößerung bezüglich des Sehfeldes zu vergleichen, muss der Sehfeldwert auf kleinster Vergrößerung durch 1,042 (das ergibt sich aus 2,4/2,5) geteilt werden. Als Beispiel werden zwei Zielfernrohre unterschiedlicher Hersteller herangezogen:

In diesem Fall hat das 2,4-16x56 Zielfernrohr auf 2,5-facher Vergrößerung ein geringfügig kleineres Sehfeld als das 2,5-15x56. Dieses niedrigere Sehfeld setzt sich natürlich auch auf allen höheren Vergrößerungen fort.

Ein weiteres interessantes Kriterium ist der Objektivdurchmesser, der vor allem bei Ansitzgläsern eine wichtige Rolle bei der Kaufentscheidung spielt. Mit diesem wird sich der nächste Teil der Kolumne beschäftigen.

Interview mit Dr. Helke Karen Hesse

WIR JAGEN: Frau Dr. Hesse, Sie versorgen uns nun schon seit einigen Monaten mit vielen interessanten Informationen rund um das Zielfernrohr. Nun möchten wir unseren Lesern ein wenig über Sie erzählen. Wie kommt es zu Ihrem umfangreichen Wissen bzgl. Optiken?

Dr. Hesse: Schon in der Schulzeit habe ich mich für mathematisch-naturwissenschaftliche Fragestellungen interessiert. So war es eine einfache Entscheidung, nach dem Abitur Mathematik und physikalische Chemie in Karlsruhe zu studieren und meine Schwerpunkt auf die Gebiete der angewandten Mathematik zu spezialisieren.

Während meiner Promotion in Heidelberg habe ich mich anschließend intensiv mit Optimierungsproblemen und Partiellen Differentialgleichungen beschäftigt.

Mit diesen Grundlagen war der Schritt in die Optik nicht mehr weit – wenn auch eher zufällig. Ich habe 2008 bei der Carl Zeiss SMT AG als Optikdesignerin angefangen, weil mich diese Kombination aus angewandter Mathematik und Physik sehr fasziniert hat. In dieser Einarbeitungsphase habe ich viel Grundlagenwissen über Optik erworben.

Ein halbes Jahr später bin ich dann während der großen Wirtschaftskrise zu Schmidt & Bender gewechselt und habe angefangen, mich mit der Berechnung von Zieloptiken zu beschäftigen.

Ab Ende 2009 war ich zusätzlich als Assistentin der Geschäftsführung tätig, und nach eineinhalb Jahren habe ich angefangen eine eigene Abteilung aufzubauen, und neue Mitarbeiter einzulernen. Ab 2011 war ich gesamtverantwortlich für die Forschung und Entwicklung.

Während der insgesamt fast 7 Jahre bei Schmidt & Bender habe ich jeden Schritt bei der Entstehung eines neues Zielfernrohres vielfach selbst durchgeführt: Marktstudien, Konzepte, optische Berechnungen, Konstruktion der Mechanik, Teilebeschaffung, Preisgestaltung, Montage von Prototypen, Werbeanzeigen, Verkaufsgespräche, Messebetreuung, Kundenschulungen, Einschießen von Zielfernrohren, Fehlersuche, Problemlösungen aller Art…

Über die Jahre hat sich dabei eine Menge Wissen über Optik im Allgemeinen und insbesondere Zieloptiken und deren Anwendung angesammelt, das ich nun gerne weitergebe.

WIR JAGEN: Hat Sie dieser Bereich (Jagdoptiken) schon immer interessiert oder sind Sie durch verschiedene Umstände in diese, doch eher, kleine Forschungs/Entwicklungsspalte hineingerutscht?

Dr. Hesse: Es war zunächst reiner Zufall, dass ich die Stellenanzeige von Schmidt & Bender zum richtigen Zeitpunkt gesehen habe. Als ich mich dann vor dem ersten Bewerbungsgespräch mit der Materie beschäftigt habe, war mir recht schnell klar, dass ich mich dafür begeistern kann.

Nach den ersten selbst gerechneten Produkten, den ersten Kundenkontakten auf Messen, der ersten Drückjagd und der ersten IWA, wusste ich dann definitiv, dass es die richtige Branche für mich ist.

WIR JAGEN: Was fasziniert Sie an der Arbeit mit Optik/Physik/Logik?

Dr. Hesse: Soweit ich zurückdenken kann, haben mich schwierige (Logik)Aufgaben, die nur mit der Kraft der Gedanken zu lösen sind, fasziniert. Hat man sie gelöst, erscheinen sie einfach – oder „trivial“, wie der Mathematiker sagt, und geben eine ungeheure Befriedigung.

Diese immer wieder kehrende Herausforderung, komplexe Probleme zu lösen, neue Wege zu beschreiten und Entwicklungen zu machen, die noch vor einigen Jahren als unmöglich galten, treibt mich in meiner täglichen Arbeit an.

Dabei ist es egal, ob es dabei um ungewöhnlich hohe Zoomfaktoren, kürzere Gesamtsysteme, höhere Transmissionswerte, schnellere Montagezeiten oder gänzlich neue Produkte geht. An Anfang steht immer ein schwieriges Problem, dann folgt die logische Analyse, die Strukturierung, die Knobelei, bis das Problem irgendwann in sich zusammenfällt und man vor einer Lösung steht, die so unglaublich einfach zu sein scheint, dass man die anfänglichen Schwierigkeiten gar nicht mehr versteht.

WIR JAGEN: Sie sind seit kurzem selbstständig, in welchen Bereichen und wie können interessierte Leser Sie erreichen?

Dr. Hesse: Bevor ich mich im April 2016 selbständig gemacht habe, habe ich mir ein breites Portfolio an Entwicklungs- und Beratungsdienstleistungen überlegt, das auf meinen verschiedenen Erfahrungen in der Optik, der Mathematik, der Produktentwicklung im allgemeinen sowie der Unternehmensführung aufbaut.

Neben Berechnungen optischer Systeme in allen Bereichen der Optik, biete ich Projektunterstützung von der ersten Konzeptidee, über die Entwicklung, den Prototypenbau bis zur Markteinführung des Produktes an. Darüber hinaus biete ich natürlich Dienstleitungen bei der Bearbeitung von mathematischen und statistischen Fragestellungen an.

Meine Kontaktdaten findet man auf meiner Homepage unter www.hesse-optics.de oder man erreicht mich direkt per Mail über hesse-optics@outlook.de


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